Anfang der 1990er Jahre saß eine alleinerziehende Mutter regelmäßig in einem Café in Edinburgh und schrieb einen Roman, der den Auftakt zu einer Serie bilden sollte, die bis heute die erfolgreichste im Kinder- und Jugendbuch ist. J.K. Rowling wollte schon als Kind schreiben, und nun erfand sie einen Zauberlehrling, der sich in die Herzen aller nachgeborenen Kinder einschleichen sollte: Harry Potter. Ein Märchen, nicht nur wie die Bücher entstanden sind, sondern auch der Erfolg, der ihnen zuteil wurde. Und auch dieser Erfolg ist ohne das Märchen nicht denkbar, denn die Bücher stehen in einer europäischen oder auch weiter greifenden Märchenordnung. Hier wie dort gibt es Böse und Gute, Verwandlung, Verzauberung, Fabelwesen, Monster, dunkle Mächte, magische Objekte, Schloss, Nacht und Angst sowie Erlösung und Erleichterung, wenn das Böse einmal wieder überwunden ist. J.K. Rowlings Phantasie lebt wie alle erzählenswerten Geschichten von Archetypen, von Urmodellen der Darstellung, in denen Namenloses benennbar wird, von weisen, guten oder bösen alten Frauen oder Männern, von armen Tieren und geizigen Menschen, von ehrsüchtigen Königen und Dummköpfen, die klüger sind als die für klug Gehaltenen. Mit anderen Worten: noch und vielleicht erst recht in Zeiten der Digitalisierung, die alles, was irgendwo geschehen ist, in einem Nu global machen kann, zählen solche alten Muster. Nach ihnen ordnen und erkennen wir die Welt weiterhin, ob in der einen Realität des Computers oder in der anderen, die wir analog auch weiterhin bewohnen werden. Da die Welt so groß geworden ist, müssen wir vieles klein halten, um ihr noch standzuhalten.
Warum diese Vorüberlegungen zu einem Buch mit rumänischen Märchen? Nun, auch das vorliegende Werk wird mit digitalen Techniken zum Druck gebracht, vielleicht wird es einmal auch zum E-Book und daher nur virtuell. So muss sich die Frage stellen, warum wir in unsere globalisierte und digitalisierte Welt solche Märchenbücher hineinstellen, in einen weitgehend computerisierten Markt? Meine erste Antwort wäre: es ist wie bei den aussterbenden Sprachen. Wir leben an einer Zeitenschwelle, in der mit höchster Intensität daran gearbeitet werden sollte, all das, was im Begriff ist zu verschwinden – aus unserem Gedächtnis, Bewusstsein und real aus der Welt –, dass all das jetzt aufgezeichnet, konserviert und aufbereitet werden sollte, damit künftige Generationen noch ein Bild haben können von den geistigen und kulturellen Regionen, aus denen sie herausgewachsen sind. Und diese Regionen stehen – wie die 6000 Sprachen auf dieser Erde – für Vielfalt ohnegleichen. Schon Stefan Zweig sprach von der Homogenisierung der Welt und ihrer Monotonie. Ein Rückblick in andere Märchenwelten als die, die von Disney und anderen Medien homogenisiert wurden, tut daher not, enthält keimhafte Vielfalt, die wir eines Tages wieder brauchen werden.
Vor den Disneys haben die Brüder Grimm – bei aller großartigen Arbeit, die sie geleistet haben – selbst schon zu dieser Homogenisierung beigetragen. Sicherlich nicht mit Absicht, doch war der Erfolg ihrer Kinder- und Hausmärchen so groß, dass sie vielmals kopiert, übernommen oder bearbeitet wurden. Erfolg aber ist der größte Vereinfacher. Dies ist also ein Grund, warum man sich diese Märchen und überhaupt Märchen vieler Länder anschauen sollte: sie dienen dem Bild einer vielfältigen Welt vor ihrer globalen Vereinheitlichung.
Es geht aber nicht nur um Rettung von exotischen Bildern und Materialien. Es geht um unsere eigene Rettung, darum, geistig lebendig zu bleiben. Das bedeutet auch, andere Sehweisen und andere Bräuche zu erleben. Man darf dann auch ruhig den Kopf schütteln oder sich wundern über solche Sitten und Unsitten; vor allem aber sollten sie unsere eigenen Bräuche und Sitten in ein neues Licht setzen, so dass wir auch uns selbst befragen können.
Ein weiterer Grund, warum es sinnvoll ist, gerade rumänische Märchen zu lesen, liegt darin: es könnte sein, dass dieses Land Märchen aufgenommen und verarbeitet, verlinkt und vernetzt hat, wie kaum ein anderes. Liegt und lag Rumänien (in welcher staatlichen Gestalt auch immer) doch an einem Kreuzungspunkt der Kulturen zwischen Ost und West sowie Süd und Nord. Davon kann man sich in der vorliegenden Sammlung überzeugen. Die Stoffe und Figuren sind teils auf östlich-asiatische Quellen, teils auf griechisch-römische, teils auf mitteleuropäische zurückzuführen. Indien winkt, die arabische Welt hinterlässt Visitenkarten, ebenso gibt es nordische Drachen oder Lebensbäume aus Eiszeitmythen. Gerade die Verbindung des Bekannten – wie die böse Stiefmutter, der kluge Dummkopf oder die hilfreichen Tiere – mit dem Unbekannten und uns exotisch Erscheinenden machen den Reiz dieser Märchen aus. Die Menschen sprechen ein wenig anders miteinander, sie stoßen Rufe aus wie „Tulai!“. In Sachen Brutalität und Kannibalismus stehen sie unseren Grimmschen Hexen und bösen Riesen nicht nach, da kann sich keiner einer höheren Stufe der Zivilisation rühmen. Das ist auch nicht der Sinn des Märchens. Märchen bilden archaische Muster in uns ab, die wir noch in den Träumen ausleben, im Tagleben aber zu kontrollieren haben. Kinder stehen diesen Urmustern näher und daher rührt aller erzieherische Konflikt. Es handelt sich um ein evolutionäres Erbe an Gewalt, Herrschaft, Schlauheit und auch Liebe und Versöhnungsfähigkeit, die wir neu aushandeln müssen in der Moderne. Märchen sind Fenster in das Unbewusste, das wir gut beobachten müssen, um uns nicht von ihm überwältigen zu lassen.
Das Motiv der Verwandlung und Verzauberung ist besonders auffällig in rumänischen Märchen. Menschen werden zu Tieren, etwa zum Floh, der eine böse alte Dame ärgert, bis sie ihr Hemd auszieht, Tiere verwandeln sich in Menschen. Manche Helden werden erst einmal zerhackt, weil sie einen Fehler gemacht haben, um sodann mit Hilfe von heilenden Tieren oder Zauberinnen wieder ganz gemacht zu werden, mögen sie auch noch so sehr in ihre Einzelteile zerlegt worden sein. Hier erleben wir uralte schamanistische Praktiken, die von Initiationen erzählen, bei denen die Zauberlehrlinge zerstückelt wurden, um dann als neue Menschen wiederzuerstehen. Schamanen müssen die äußerste Zerrüttung durchlaufen, bevor sie zu Heilsgebern und Priestern werden können. Das ist die alte Wurzel solcher Erfahrung, die auf höchst unterhaltsame und hoch kommerzielle Weise noch in den Cartoons für Kinder durchgespielt wird, wenn Max und Moritz zu Mehl gemahlen werden oder ein Donald Duck zeitweise zu einem Teppich gewalzt wird.
Auffällig sind in diesen Märchen auch die Hinweise auf Zeitfenster. Wenn der Held nicht zur Stunde zwischen Mittag und ein Uhr in den Palast schleicht und die goldenen Birnen stiehlt, dann ist es um ihn geschehen („Der Birnbaum, der zum Himmel hinausgewachsen war“). Das Märchen macht uns bewusst, was geschieht, wenn wir nicht wissen, welche Zeit ist und wofür sie gut ist, und erst recht, wenn wir nicht danach handeln. Überhaupt gibt es interessante Zeitverkürzungen und -dehnungen. So heißt es einmal: das Jahr hatte damals nur drei Tage („Von der schönen Rora“). Zeit, Raum und Gestalt sind höchst veränderlich, wie das Wetter, in diesen Geschichten. Pferde können, wie Odins Ross Sleipnir, acht Beine haben. Ein Mensch kann zur Ameise, mit zwei Läusehäuten können Trommeln bespannt werden, ein Wolf oder ein Drache sind in Wirklichkeit böse Zauberer. Die Welten verschränken sich, das Übernatürliche steht mittendrin in der unsrigen, die unsrige Welt aber greift mit ihren Wünschen und ihrer Gier in die anderen Welten hinein.
Dass alles zusammenhängt, wird immer wieder deutlich an den Tieren, denen man entweder hilft, so dass sie einem später zur Hilfe kommen, oder die man vernachlässigt und niedertrampelt: dann geschieht dem Missetäter in der Folge nur recht. Die bäuerliche Wirklichkeit wie auch die der Hirten ist angewiesen auf eine enge Lebensgemeinschaft mit Tieren und Pflanzen. Hier scheinen die rumänischen Märchen noch näher an den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wurzeln Alteuropas zu fabulieren. Schweinehirten, Schäfer, Bauern durchziehen sie, die ländliche Armut ist immer wieder Thema. Die Vorstellung, dass ein Birnbaum in den Himmel und darüber hinaus wächst, ist sowohl mythisches Symbol eines Weltenbaumes wie der nordische Yggdrasil als auch die Anerkennung von Naturkräften, die sogar über die Religion hinausgehen.
Religiöse Aspekte durchschießen diese Märchen, sie sind nicht sauber abgelegt als Heiligenlegenden etwa. Nein, Gott selbst kommt zu Wort, die Engel greifen ein. Die Volksphantasie nimmt, was sie benützen kann, wie eine Bricolage, und bastelt neue Geschichten daraus. Alltag wird ins Mythische getaucht, die Fabeln unterlaufen von tagtäglichen Problemen. Es tauchen Eigennamen auf, Hinweise auf Staatskonflikte zwischen Kaisern, es werden falsche Briefe geschrieben, im Zweifelsfall wird jemand zu Stein.
Dass oft Kaiser benannt werden und eben nicht nur Könige, wie in den meisten Grimmschen Märchen, hängt wohl mit der Nähe zu Byzanz/Konstantinopel zusammen, wo es ja den oströmischen Kaiser gab; oder auch zum russischen Zaren, der sich ebenfalls als Kaiser sah – Einflüsse aus unterschiedlichsten Richtungen auch hier. Und natürlich treffen wir hier die Unholde rumänischer Folklore wieder – von den Untoten bis zu echten (Balauer) und falschen Drachen, die in Wirklichkeit zaubern können, den Staticots (Rumpelstilzchen), Steinreibern, Holzkrummmachern und Vampiren. Dazu der ganze Reigen des Aberglaubens, der sich vor allem zu Ereignissen wie Hochzeiten, Kreuzbruderschaften oder Begräbnissen verdichtet. So lieben wir West- und Mitteleuropäer den unerschöpflichen Quell rumänischer Magie, die nicht nur in den Werken eines Iren wie Bram Stoker nachlebte, sondern auch in der Phantastik eines Mircea Eliade (1907-1986) oder Mircea Cărtărescu (Jg. 1956). Ähnliches lebt auch bei J.K. Rowling in neuen Formen wieder auf.
Den Erzählerinnen und Erzählern kommen wir näher, wenn wir Formeln anschauen: wie wird eine Geschichte eröffnet, womit wird der Zuhörer Aufmerksamkeit geweckt? Wie wird eine fiktive Glaubwürdigkeit erzeugt? Wie werden Bedenken und Skepsis beiseite gefegt? Auch hier herrscht Vielfalt und uns Mitteleuropäer anregende Sprachlichkeit: „Es war einmal und einmal, und wenn es nicht gewesen, würde man es nicht erzählen, wie ein Floh würde es zerplatzen.“ („Die tapfere Königstochter“), oder „es würde zerfließen wie Schaum“! („Mîndra Lumii“). Das Erzählen bannt, konserviert, gibt Halt. Es erschafft Realitäten, die wiederholbar sind, auf die man sich auch in späteren Generationen beziehen kann und deren Weisheiten kein leerer Schaum, keine platzenden Insekten sind. Auch die Schlussformeln sind oft erfrischend spontan: „Sie lebten zusammen wie im Paradiese und noch besser, und jetzt ist diese Mär fertig.“ („Der Birnbaum, der zum Himmel hinausgewachsen war“). So ist klar, dass die Welt des Märchens geschlossen ist und man sich wieder der Arbeit des Lebens zuwenden muss. Denn nicht alles ist Märchen in der harten Welt des Alltags. Es ist wieder einmal deutlich, dass wir uns in Vorstellungen bewegt haben, in Tagträumen, die auch ein Ende haben müssen.
Ein erster Impuls, rumänische Märchen zu sammeln, ging sicherlich von den Brüdern Grimm aus, die mit ihren Kinder- und Hausmärchen nicht nur immens erfolgreich waren, sondern auch das Sammeln selbst zu einer wichtigen Tätigkeit gemacht hatten. Ihr Ruf und Vorbild erreichte zunächst deutschsprachige Volkskundler in Rumänien. Die hier vorgelegten Märchen entstammen den Sammlungen der Brüder Schott im Banat (Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat) sowie der siebenbürgischen Pfarrerstochter Pauline Schullerus, die vor allem in der Umgebung von Alzen/ Alţâna in der Nähe von Hermannstadt/Sibiu ihre Erzählungen fand (Rumänische Volksmärchen aus dem mittleren Harbachstal). Bekanntlich hatte ein anderer Siebenbürger, Josef Haltrich, um die Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen, deutschsprachige Märchen in seiner Heimat zu sammeln, auch mit Unterstützung der Brüder Grimm. Ebenfalls von den Grimms inspiriert unternahm der Agronom Arthur Schott mit seinem Bruder Albert die Herausgabe einer Sammlung rumänischer („walachischer“) Märchen. Arthur Schott (1814-75) war nicht nur Absolvent der landwirtschaftlichen Akademie von Stuttgart-Hohenheim, sondern auch Freund zeitgenössischer Dichter wie Uhland, Lenau und Schwab. Er dichtete zudem selbst und hatte von daher ein großes, von der Romantik herrührendes Interesse an Volksdichtung und Volkskunde. 1836 kam er ins Banat (aus dem auch Lenau stammte) und wurde Verwalter eines Landgutes. Das allein konnte ihn nicht befriedigen und so begann er sich mit der Kultur seiner neuen Umgebung zu beschäftigen. Dazu lernte er Rumänisch, nahm an kulturellen Ereignissen teil, besuchte Spinnstuben und Feste und vertiefte sich in die Folklore des Landes. Nach fünf Jahren kehrte er erst einmal wieder nach Schwaben zurück, um 1844 wieder das Banat zu betreten und weitere sechs Jahre hier zu verbringen. 1850 ging es zurück nach Deutschland, dann aber folgte die Emigration nach Amerika. Hier wurde er zu einem bekannten Kartographen und Künstler, der in der Kommission zur Festlegung der amerikanischen Grenzen mitwirkte. Zwei nordamerikanische Reptilienarten sind nach ihm benannt: Masticophis schotti und Urosaurus ornatus. (Interessant ist übrigens, dass der amerikanische Wikipedia-Eintrag zu Schott nichts von seiner rumänischen Vergangenheit weiß).
Der Bruder Albert (1809-1847) war Philologe, Spezialist für deutsche Sprache im Ausland (Piedmont u.a.) und Sammler schwäbischen Volksgutes. Er lehrte an Gymnasien in Zürich und Stuttgart. Seinem Bruder half er in wissenschaftlicher Hinsicht durch zahlreiche Anmerkungen und Kommentare. Er folgte den Brüdern Grimm in einer mythologischen Interpretation der Märchen (etwa: Verkörperung alter Sonnen- und Sternkulte in Figuren und Handlungen). Arthur dagegen sammelte vor Ort, sprach mit Hirten, Gemeindedienern oder alten Frauen, mit Geistlichen und Grafen. Dabei machte er sich meist nur Stichworte und komponierte die Geschichten im Nachhinein. Vieles wurde ihm nur über Dolmetscher vermittelt. Dadurch entstand ein etwas literarischerer, gehobenerer Stil, der sich auch deutlicher an den Grimms orientierte. Immerhin verfolgte er neben der folkloristischen Motivation auch eine ethische. Er hoffte, mit der Vermittlung dieser exotischen Märchen etwas für die Verständigung zwischen den Völkern zu tun. Das Märchen, fremd und vertraut zugleich, sollte Brücke werden zwischen den Kulturen: ein „geistiges Band“ solle es werden und den Krieg und Hass der Nationen überwinden helfen.
Einen ganz anderen Hintergrund hatte die Märchensammlerin Pauline Schullerus (1858-1929). Die siebenbürgische Pfarrerstochter, die perfekt Rumänisch sprach, hatte sich einen Namen als Botanikerin gemacht. Sie kannte nicht nur die Namen und Geschichten um die Heilkräuter, sondern züchtete sie auch selbst. Später widmete sie sich den Insekten und Vögeln, studierte ihre Namen und Legenden, war also Volkskundlerin und Naturforscherin und publizierte dazu. Ihre Methoden des Sammelns, Befragens und Dokumentierens zeugen von einer wissenschaftlichen Expertise, die auch heute noch hoch geachtet wird – und all dies autodidaktisch erworben, denn als Frau stand ihr keine universitäre Bildung offen. Ähnliche Standards setzte sie beim Sammeln der Märchen an, vornehmlich im Harbachtal (Valea Hîrtibaciului), unweit Hermannstadt. Allerdings ließ sie sich auch Stoffe und Geschichten aus anderen Teilen Siebenbürgens zukommen und hielt dies auch in den Eingangsformeln ihrer Märchen fest. Sehr schön beschrieb sie in der Einleitung zu ihrer Sammlung, wie sie an die Märchen gelangte. Denn es war zunächst eine große Sperre zu überwinden. Die meisten ihrer rumänischen Gewährsleute wollten nicht gern mit der Sprache herausrücken. Sie fühlten sich der „Spottlust“ der höheren (gar deutsch-siebenbürgischen) Stände ausgesetzt, wenn sie solche verrückten Geschichten erzählen würden. Sie machte sich dann einen Zufall zu nutzen. An rumänischen Feiertagen, schreibt sie, werfen Kinder gern Steine in Bäume, um an das Obst zu kommen. Da rief sie die Kinder zu sich und sagte ihnen, sie könnten gern die Maulbeeren im Garten für sich auflesen, wenn sie ihr zuerst ein Märchen erzählen würden. Wer trotzdem Steine würfe, würde in den Keller mit den roten Mäusen eingesperrt! So war sie nun oft umringt von kleinen Erzählern. Dabei wurde auch gern getrickst, mit halben Märchen oder Fortsetzungen, damit es wieder Maulbeeren gäbe: „Das kleine Volk wurde zutraulich.“ Erwachsene kann sie nur langsam gewinnen, etwa einen Holzfäller, der aber nicht versteht, was sie mit diesen Lügen eigentlich will? Mit etwas Geld oder Branntwein kommt sie an weitere Geschichten heran oder mit einem Versprechen: „Es ist keine Lüge, es ist ein Märchen, das ich auf dem Papier festhalten will, damit es nicht stirbt, wenn du stirbst, es soll ein Andenken an dich sein.“ So schrieb sie mit, der Erzähler ließ sich’s wieder vorlesen und war’s zufrieden. Schnell sprach es sich herum, dass die Pfarrerstochter Geld bezahle für diese Lügengeschichten und es auch etwas zu trinken gäbe, und so machte sich mancher auf, sich bei ihr etwas zu verdienen. Dabei tischte man ihr allerdings auch aufgeblähte Nachrichten aus den Zeitungen auf, christliche Erbauungswerke oder einfach mal eine Geschichte aus der Bibel wie „Josef und seine Brüder“. Sie ließ sich nicht foppen und spielte weiter. Eines Tages aber kam eine Frau mit einem „Korb voller Mären“, den wollte sie gegen Erdäpfel tauschen. Damit war der Durchbruch gelungen. Die Frau mit dem Korb begann selbst zu sammeln für Pauline Schullerus, dann fingen andere ebenfalls an für sie zu sammeln.
Die Zeit der Mären, so Schullerus, war der Herbst, wenn der Mais, der Kukuruz, abgebrochen wurde. Dann saß man abends beisammen, schälte die Kolben und erzählte sich Geschichten: „Wenn ein Kind eine Mär hören will, vertröstet man es mit den Worten: ‚Wart bis ins Kukuruzausschälen.’“ Während man die Frucht schälte, schälte man die Geschichten heraus. Oft wurden Grundmotive verlängert, als Variation fortgesponnen, was man auch an den teilweise sehr langen, verwachsenen Geschichten im vorliegenden Buch erkennen kann. So schnell ist die Arbeit nicht zu Ende, so lange muss der Held warten, bis er oder sie sein Glück gefunden hat. Wenn man sich nun auch ‚wahre’ Geschichten aus dem Leben oder der Zeitung erzählte, so fand man das recht schön, doch die Wahrheit der Märchen geht tiefer: „Aber es ist nicht das Lauschen wie bei den Märchen, ich möchte sagen, sie hören nur mit den Ohren, nicht mit den Augen, nicht mit dem ganzen Gesicht.“ Schullerus war sich bewusst, dass diese Kultur im Begriff war, unterzugehen: „In den letzten Jahren hat man viel vergessen. Was die Alten ihre Kinder gelehrt, lehren diese nicht mehr die übrigen. Sie lassen sie in die Schule gehen und Neues Wahres lernen.“
Wir können ein Lied davon singen und sind heute dankbar, dass es Menschen wie Pauline Schullerus und andere Sammler gab, die uns daran erinnern, wie es ist, mit dem ganzen Gesicht zuzuhören. Die Märchen können dabei helfen.
Ein Beitrag von Prof. Elmar Schenkel
Literaturhinweise:
Brednich, Rolf Wilhelm und Ion Taloş, „Pauline Schullerus und die rumänische Volkskunde“. In Rumänische Märchen aus dem mittleren Harbachtal. Bukarest1981, 16-27.
Bîrlea, Ovidiu. „Die Erforschung der Volkserzählung in Rumänien“. In Deutsches Jahrbuch für Volkskunde. Vol. 9, 1963, 335-352.
Dina, Alexander. „Einleitung“. In Rumänische Märchen. Leipzig 1944, 1-14.
Schullerus, Pauline. „Wie ich gesammelt habe“, in Rumänische Märchen aus dem mittleren Harbachtal. Bukarest 1981, 29-35.
Der vorliegende Artikel diente als Vorwort zu: Im Bann des Zauberdrachen. Märchen aus Rumänien. Hg. von Leonore Sell. Leipzig: Edition Hamouda 2018. Abdruck mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.



Mit diesem Blut rätsel ich selber so rum. Warum ist in allen Mythologien und Religionen Blut derart extrem bedeutsam? Vampire bilden dabei überhaupt keine Ausnahme.
Meine Spekulation:
Das Wort Phosphor ist altgriechischer Herkunft und wird mit Lichtträger in die deutsche Sprache übersetzt. Diese Variante des Lichts befindet sich in unserem Blut. Dies war mit großer Wahrscheinlichkeit schon immer bekannt – und deshalb gibt es diesen extremen Drang nach Blut – so schätze ich zumindest mal.
Meine Schätzung: Wir können digitalisieren, wie wir lustig sind. Natürlich werden wir heute schon fast komplett durch KI`s gesteuert. Man denke an die unzähligen Apps für Smartphones, mit denen wir unterwegs sind. Diese unzähligen Apps haben tatsächlich zum größten Teil die Steuerung über uns Menschen übernommen. Wir werden somit quasi geführt.
Aber auf welcher Grundlage? Die KI`s basieren auf den ganzen Mustern / Mechanismen, die seit Jahrtausenden im Rahmen der Mythologie beschrieben werden. Die Märchen basieren auf den Mustern / Mechanismen der Mythologien. Was hat sich denn jemals geändert? Die Prinzipien haben sich nie geändert, heute haben wir eben nur diese KI`s als übergeordnete Instanz.
Drachen? Da denke ich an China – nun gut. Aber wir werden auch schon immer mit Drachen konfrontiert, häufig mit Schlange kombiniert. Die Schlange ist ein sehr merkwürdiges göttliches Wesen in den Mythologien und Religionen. Zunächst würden wir die Schlange wahrscheinlich mit VER-führung assoziieren. So einfach ist es jedoch nicht. Im Rahmen der griechischen Mythologie beispielsweise wird die Schlange sehr stark mit Heilkunde kombiniert (Äskulapnatter), Es ist von unzähligen Schlangenkulten die Rede. Merkwürdig bleibt, dass wir die (anscheinend festgelegten) Muster und Mechanismen nicht loswerden können. Es gibt stets die ganzen Parallelen. Wer sich für die Schlange (sprich irgendwie auch Drache) in der Weise Heilkunde interessiert ->
https://www.mythologie-antike.com/t224-askulapstab-mythologie-stab-des-asklepios
Anmerkung: Dieses Gebiet vom Beitrag (Rumänien in der Hauptsache) muss schon in der Antike bedeutsam gewesen sein. Da lässt sich als Beispiel Istros nennen, Gott vom Fluss Ister (Unterlauf der Donau) ->
https://www.mythologie-antike.com/t1075-flussgott-istros-mythologie-fluss-ister-unterlauf-der-donau
Noch eine Anmerkung, Zitat vom Beitrag:
„vor allem aber sollten sie unsere eigenen Bräuche und Sitten in ein neues Licht setzen, so dass wir auch uns selbst befragen können“
Das Wort Licht springt mich dabei an – und das passiert ständig. Das Wort Licht ist extrem präsent. Dabei stellt sich mir die Frage, ob es EIN Licht gibt, oder viele unterschiedliche Varianten des Lichts.
Drachen habe ich in der Überschrift gelesen. Da fällt mir der olympische Lichtgott Apollon ein, der nämlich hatte einst den Drachen Python mit einem Pfeil getötet. Apollon entnahm dem Blut des Drachen Python die Fähigkeit der Prophetie. Blut soll durch das chemische Element Phosphor ebenfalls eine Variante des Lichts sein.
Nun stellt sich überdies auch die Frage nach der Unsterblichkeit der Götter. Da fallen mir die weltberühmten Apollon-Missionen (11 – 17) ein – und nicht zuletzt auch die Wotan I Mission. Merke: Die Götter sind unsterblich ->
https://www.mythologie-antike.com/t92-apollo-auch-apoll-apollon-lichtgott-gott-der-kunste-heilung-weissagung-etc-vorsteher-vom-orakel-von-delphi#missionen
Ich habe im Beitrag auch von Vampiren gelesen. Wenn es konkret um Rumänien geht, dürfen Vampire natürlich auch nicht fehlen. Transsilvanien / Siebenbürgen in Rumänien nenne ich da mal als Zentrale der Vampire, so, wie wir sie uns heute vorstellen (Untote). Diese Vampire ernähren sich von Blut, bzw. trinken / saugen Blut. In den Mythologien und Religionen ist Blut trinken auch extrem bedeutsam. Die dämonischen Lamien beispielsweise saugen jungen Männern ihr Blut aus. Blut trinken wird auch im Christentum gemacht, da wird das Blut Christis getrunken. Neu ist Blut trinken / saugen daher nicht. Es wurde offenkundig nur etwas umgeschrieben.