Bein wird Rad: Freiherr von Drais

Das Fahrrad ist das Gerät auf Erden, das die beste Umsetzung von Energie in Bewegung leistet. Mit einem Pfund Fett kann ein Radler etwa 300 Kilometer hinter sich bringen. Die einzigen, die das Fahrrad in dieser Hinsicht übertreffen sind der Lachs und der Jumbojet. Die Maschine ist also so perfekt, wie dies unter irdischen Bedingungen nur möglich ist. Ihre heutige Form erhielt sie am Ende des 19. Jahrhunderts: zwei fast gleich große Räder, Kettenantrieb, Pedale, Gummireifen. Das Fahrrad befreite den kleinen Mann aus der Enge seiner Umwelt, die Frau aber von Herd und Kontrolle sowie von unpraktischer Kleidung. Ein guter Teil der Emanzipation wurde vom Fahrrad ausgelöst. Bis vor kurzem war das Fahrrad in bestimmten Kulturen wie Indien oder China das entscheidende Fortbewegungsmittel. Bei uns ist es jedoch wieder auf dem Weg dorthin. Ein großer Teil unserer Räder und deren Ersatzteile werden in Indien produziert. Das Fahrrad ist ein globaler Faktor, auch im Sinne von Umwelt- und Gesundheitspolitik, und es hat aus diesem Grund Zukunft.

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Eine verrückte Herzogin? Margaret Cavendish, Duchess of Newcastle

Am 30. Mai 1667 geschah eine Sensation im gelehrten London. Die Royal Society, die führende wissenschaftliche Akademie der Welt und eine reine Männerenklave, hatte eine außerordentliche Sitzung für ihre Mitglieder einberufen. Erstmals wollte sie einer Frau ihre Türen öffnen. Es waren vor allem die guten Verbindungen ihres Mannes, die es der wissenschaftlich interessierten Margaret Cavendish, der Herzogin von Newcastle, ermöglichten, Zugang zu dieser erlesenen Gesellschaft zu erhalten. Der Herzogin eilte ein mächtiger Ruf voraus, allerdings von Extravaganz und Exzentrizität, so dass die gebildete Welt sich auf ein anständiges Spektakel freute.

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Hierophanie und Hieromanie. Anmerkungen zum Tiertotemismus

Es war das große Verdienst des Sudanforschers und Kunsttheoretikers Fritz W. Kramer, in „Der rote Fes“ die kulturkonstituierende Kraft der Fremdwahrnehmung für die heutige deutschsprachige Ethnologie zum Bewusstsein gebracht zu haben. Während in der rationalistischen Fachtradition die Daseinsbewältigung, der „Stoffwechsel mit der Natur“ (Karl Marx) zur Befriedigung primärer und sekundärer Bedürfnisse (Bronislaw Malinowski) im Zentrum stand, versuchte Kramer die – oft erschreckende – Begegnung mit Fremdheit als immer sprudelnde Quelle emotionaler wie geistiger Produktivität herauszuarbeiten, ein Verhältnis zum „Anderen“, das dank seiner Asymmetrien und Ambivalenzen die menschliche Kultur in fortwährender Unruhe hält.

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Der Wissenschaftler im Geisterreich: Emanuel Swedenborg

Im Jahre 1744 erscheint Emanuel Swedenborg, einem der außergewöhnlichsten Menschen seiner, wenn nicht aller Zeiten, der Herr Jesus Christus im Traum. Jesus lächelt ihn an und fragt ihn, ob er einen Gesundheitspass besäße. Herr, das weißt du besser als ich, antwortet Swedenborg. Daraufhin sagt Jesus: „Nun, so tue es“. Diesen Traum hatte Swedenborg in Den Haag in der Nacht auf Ostermontag. Gut ein Jahr später folgte ein weiterer Traum. Swedenborg sieht in einer Kneipe in London einen Mann, der in einer Ecke sitzt. Dann hört er die Worte: „Iss nicht so viel!“ Derselbe Fremde kommt abends zu Swedenborg ins Haus und behauptet, der Herrgott selbst zu sein. Daraufhin beauftragt er Swedenborg damit, die Bibel auszulegen.

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Die Sterne

„Es gibt im Menschenleben Augenblicke

 Wo wir vergessen daß wir einen Punct

Im unermessnen Weltall nur bewohnen!“


schreibt der fünfzehnjährige Nietzsche an seine Mutter, als diese zu Verwandten in den Südharz reist. Danach stellt er eine Liste auf mit den Dingen, die Franziska doch bitte schicken möge: Teelöffel, Oblaten, Kakao, Wäsche, Schlittschuhe. So schnell geht die Reise zwischen den Sternen und dem Alltag hin und zurück. Nietzsche hat sie immer wieder durchmessen. Der Aufstieg und der Absturz, die Melancholie und die Euphorie lagen nah beieinander. Er glaubte nicht an Astrologie und verachtete den Okkultismus. Aber die Sterne richteten ihn auf, spielerisch nahm er ihren Einfluss an. Vor allem aber standen sie für die Sinnenferne, der Blick in das Schwarze des Alls verkleinerte den Menschen ins Unendliche. 1873, da war er keine dreißig Jahre alt, schrieb er einen Essay, der wegweisend für die Nietzsche-Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg werden sollte: „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn“. Er beginnt wie ein Science-Fiction-Roman (zum Beispiel Douglas Adams‘ Per Anhalter durch die Galaxis):

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