Eine verrückte Herzogin? Margaret Cavendish, Duchess of Newcastle

Am 30. Mai 1667 geschah eine Sensation im gelehrten London. Die Royal Society, die führende wissenschaftliche Akademie der Welt und eine reine Männerenklave, hatte eine außerordentliche Sitzung für ihre Mitglieder einberufen. Erstmals wollte sie einer Frau ihre Türen öffnen. Es waren vor allem die guten Verbindungen ihres Mannes, die es der wissenschaftlich interessierten Margaret Cavendish, der Herzogin von Newcastle, ermöglichten, Zugang zu dieser erlesenen Gesellschaft zu erhalten. Der Herzogin eilte ein mächtiger Ruf voraus, allerdings von Extravaganz und Exzentrizität, so dass die gebildete Welt sich auf ein anständiges Spektakel freute.

Margaret sorgte denn auch dafür, dass die Gebildeten unter ihren Verächtern nicht zu kurz kämen. Vor Arundel House hatten sich bereits die Masse eingefunden. Zunächst verspätet sich die Herzogin und der Präsident lässt Berichte über Würmer, Kormorantenmägen und die Operation von Zwerchfellen verlesen. Da tritt die Herzogin ein: Sechs Hofdamen tragen ihre Schleppe, eine bekannte Sängerin und ein schwarzer Knabe begleiten sie. Für sie und ihren Hofstaat wird es eng, die Vorführung kann unter diesen Bedingungen nicht stattfinden, also räumt man den Saal um. Nun führen die größten Wissenschaftler Englands neueste Experimente vor. Der Chemiker und Physiker Robert Boyle zeigt, wie man die Luft wiegen kann. Man präsentiert ihr einen riesigen Magneten, man mischt Farben für sie und löst Fleisch in einer Flüssigkeit auf. Robert Hooke zeigt ihr schließlich die wunderbaren und monströsen Welten, die er mit dem Mikroskop entdeckt und in seinem Buch Micrographia dokumentiert hat. Zwei Jahre zuvor noch hat sie Hookes mikroskopische Einblicke als Verblendung verworfen, nun sieht sie, dass sie im Unrecht war. Insgesamt ist sie sehr beeindruckt von den Vorführungen.

Der aufsehenerregende Besuch wird viel kommentiert, wobei es in erster Linie um den äußeren Eindruck geht. So hebt John Evelyn, ein wissenschaftlich gebildeter Zeitgenosse, in einem Gedicht hervor, dass sie trotz ihres exzessiven Kostüms irgendwie auch wie ein Mann aussah. Ihre Kleidung war sozusagen weiblich und männlich zugeschnitten: Schleppe und Wams. Die Äußerlichkeit, die die gelehrten Männer, aber auch viele Frauen an dieser Gestalt provozierte, ist jedoch symptomatisch für ihre Stellung in der geistigen Welt: für ihren Kampf wie für ihre Extravaganz. Vor allem aber für ihre Versuche, aus den vorgegebenen Einzäunungen weiblicher Rollen auszubrechen, und wenn es mit Getöse wär.

Margaret Lucas wird 1623 in Essex geboren und kommt aus einer adligen Grundbesitzerfamilie. Margaret hat viele Geschwister, ihre Brüder dürfen in Cambridge studieren, während sie sich zuhause weiterbildet. Und zwar nicht im Kochen und Nähen, sondern in den Wissenschaften, denn ihre Mutter gibt ihr eine unkonventionelle Erziehung. Aber Margaret ist sehr schüchtern, sie wird es ihr Leben lang bleiben und in ihren Schriften immer wieder darauf hinweisen. Wahrscheinlich kommt hier beides zusammen: eine eigene Disposition und eine literarische Tradition, in der der Bescheidenheitstopos gerne gesehen wird. Man sagt, Margaret sei mit einer Feder zur Welt gekommen, denn kaum dass sie schreiben kann, verfasst sie 16 „Babybücher“. In den zwanzig Jahren, die sie als Erwachsene schrieb, sollten aus ihrer Feder fünf wissenschaftliche Werke, fünf Gedicht- und Prosabände, zwei Bände Essays und Briefe sowie zwei Bände mit Theaterstücken kommen.

Doch im englischen Bürgerkrieg wird das Landhaus der Lucas geplündert und 1643 muss die Zwanzigjährige als Hofdame der Königin nach Frankreich fliehen. Das dortige lockere und intrigante Leben gefällt ihr überhaupt nicht, aber es gibt zunächst keine Möglichkeit einer Rückkehr, denn in England regiert Cromwell mit seinen Puritanern. Margaret lernt einen dreißig Jahre älteren Adligen kennen, den Generalfeldmarschall William Cavendish, und heiratet ihn im Jahre 1645.  Sie müssen, auch wenn sie keine Kinder hatten, einander sehr zugetan gewesen sein, denn ihr Mann wird sie immer wieder unterstützen in ihren wissenschaftlichen Bemühungen oder vor Attacken schützen. Sie dagegen wird ihm ihre Schriften widmen. Cavendish gehört zu einem Kreis, der sich für die neuen Wissenschaften interessiert, den sogenannten „Newcastle-Kreis“. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von virtuosi, gelehrten Dilettanten, Wissenschaftlern und Philosophen, die sich unter anderem für den Atomismus stark machten und Descartes, den Materialismus und Atheismus rezipierten. Die Cavendishs ziehen von Frankreich nach Antwerpen um und leben eine Zeitlang in der Villa, die einst der große Peter Paul Rubens bewohnte. Margaret versucht später, ihre Besitztümer in England zurückzubekommen, doch wird sie vom Parlament erniedrigt. 1653 erscheinen ihre ersten Bücher: Poems and Fancies und Philosophicall Fancies. Man ist entsetzt. Erstens schreibt hier eine Frau ohne Pseudonym unter ihrem eigenen Namen. Zweitens ist es eine Adlige, für die sich das Publizieren von Büchern nicht gehört. Und drittens schreibt diese Frau über Themen, die den Männern vorbehalten sind: Philosophie und Wissenschaft. Sie macht dies allerdings in Form von Gedichten und Prosa, denn so kann sie ihre unerhörte Beschäftigung mit Atomismus und Atheismus in ein leicht fiktionales Gewand kleiden. Wenn eine Frau so etwas tut und auch noch die Terminologie der neuen Wissenschaften benutzt, muß sie entweder übergeschnappt sein oder eine Betrügerin. So heftete man ihr auch gerne den Plagiatsvorwurf an, bis in unsere Zeit. Weitere Werke folgen und sie schickt diese großen, dekorativ aufgemachten Bände hartnäckig mit speziellen Kurieren an die großen Geister ihrer Zeit: Thomas Hobbes, Pierre Gassendi, Marin Mersenne oder Henry More. Die Herrschaften lassen allenfalls den Erhalt bestätigen. Nur zwei nehmen sie etwas ernster: Christian Huygens, der niederländische Physiker, korrespondiert mit ihr über „Ruperts explodierende Wassertropfen“ und kann seine Bewunderung für sie nicht verhehlen, während John Glanvill sich mit ihrem Werk über schwarze Magie beschäftigt. Gerne legt sie sich mit denselben großen Geistern in ihren Schriften an. Sie kritisiert Hobbes’ Leviathan, polemisiert gegen Descartes’ Wirbeltheorie und Helmonts „überspannte und merkwürdige Grundsätze der Chemie.“ Sie hat ohnehin keine Aussicht, in die Gelehrtenrepublik aufgenommen zu werden und auch die folgenden Werke werden ihr dabei nicht helfen. Sie schreibt und schreibt, neben Philosophischem auch Reden für alle Gelegenheiten, für Beerdigungen, Hochzeiten, Gerichtssitzungen und Schlachtfelder. Ihr größter Erfolg wird jedoch eine Biographie über ihren Mann, The Life of the Thrice Noble, High and Puissant William Cavendishe, Duke, Marquess and Earl of Newcastle im Jahre 1667. Sie lebt von nun an sehr zurückgezogen auf ihren Landgütern und bewegt sich zu wenig, wie ihr Arzt meint. Den Medizinern gehorcht sie aber nicht und erfindet sich ihre eigenen Kuren. In den letzten Jahren macht ihr die schwarze Galle der Melancholiker viel zu schaffen. Margaret Cavendish stirbt 1673 im Alter von fünfzig Jahren.

Die Meinungen über ihre eigentliche wissenschaftliche Leistung sind bis heute geteilt. In den letzten zwei Jahrzehnten hat man jedoch begonnen, sie anders zu lesen, das heißt mit dem Blick auf weibliches Schreiben in einer männlich dominierten wissenschaftlich-philosophischen Welt. Schon Virginia Woolf hatte in einem Essay auf diese komplexe Ausgangslage hingewiesen, die den Vergleich mit den männlichen Zeitgenossen erschwert. Margaret war sich schmerzlich bewusst, wie sehr die Frauen aus dem Denken ausgeschlossen wurden. „Man hält uns wie Vögel im Käfig, die in unseren Häusern auf- und abhüpfen.“ Sie rief die Frauen auf, sich zu Vereinen zusammenzuschließen, in denen über die Möglichkeiten des Ruhmerwerbs nachgedacht werden könne. Denn wie konnte eine Frau berühmt werden? Cavendish forderte eine bessere Ausbildung und die Einmischung der Frauen ins öffentliche Leben. Philosophisch gesehen war sie eine Monistin und glaubte, dass es nur Materie gebe. Aber Materie, die überall belebt und intelligent ist, eine selbsttätige und vernünftige Materie. Im Gegensatz zu den Nachfolgern Francis Bacons sieht sie auch keinen Sinn in einer zunehmenden Beherrschung der Natur, oder wenigstens keine Möglichkeit. Der Mensch stehe nicht über der Natur, sondern sei nur ein Teil von ihr. Von Geräten wie Teleskop und Mikroskop hielt sie ähnlich wie Goethe wenig, denn diese seien unzuverlässig und nur Quellen neuer Täuschungen.

Sie als frühe Feministin zu bezeichnen, würde die geistige Situation im Rückblick verzerren. Ihre Attacken haben zwar feministische Züge, zugleich opfert sie die Frau auf dem Altar männlicher Wissenschaft. So schreibt sie etwa, das weibliche Gehirn verhindere es, dass Frauen Mathematiker oder Logiker werden könnten. Sie ist zumindest eine widersprüchliche Feministin. Die Widersprüche trägt sie in einem interessanten polyphonen Dialog mehrerer Stimmen aus. In Female Oration (Weibliche Rede) lässt sie fünf Stimmen konträre Dinge über das Verhältnis von Männern und Frauen sagen. Eine Stimme erhebt sich gegen die Tyrannei der Männer: „Lieber möchten sie uns in unseren Häusern und  Betten beerdigen wie in einem Grab. Die Wahrheit ist, dass wir leben wie Fledermäuse und Eulen, dass wir arbeiten wie Pferde und dass wir sterben wie die Würmer.“ Die dritte Stimme fordert, es den Männern in allem nachzutun, im Jagen, Reiten und Wettbewerb bis hin zu Streitgesprächen in Schulen, Gerichtshöfen und Bordellen. Erziehung allein führe zur Gleichstellung von Mann und Frau. Insgesamt lässt sie es offen, warum die Frauen den Männern untergeordnet sind.

Gerne nutzt sie auch phantastische, märchenhafte und utopische Geschichten, um ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Am schönsten gelingt dies in The Blazing World, einem Werk, das von ferne an Swift erinnert. Eine Dame erleidet in der Nähe des Nordpols Schiffbruch und gerät in eine fremdartige Kultur, wo sie gleich zur Kaiserin gemacht wird. Hier unterhält sie sich nun mit  merkwürdigen Einwohnern, den Bärenmenschen, Fischmenschen oder Wurmmenschen über Philosophie, Physik, Moral, Astronomie, Medizin und vieles mehr. Am Ende will sie sich eine Kabbala machen, eine Geheimlehre, und dazu empfiehlt man ihr eine Seele als Begleitung. Nach langer Diskussion wird die geeignetste Seele auf der Welt für sie ausgesucht. Es ist der Geist einer gewissen Margaret Cavendish, der Herzogin von Newcastle. Aus heutiger Sicht liest sich dies vielleicht mit neuen Augen. Unserem Blick enthüllt sich ein komplexes Gebilde: eine barocke Architektur mit Einschüssen von Erkenntnis, ausschweifende Phantasie wie wissenschaftliche Diskussion, dazu eine Mischung aus Spiel, Verkleidung und Argumentationslust, die ihresgleichen sucht. Vielleicht haben wir jetzt erst ein Verständnis für andere Formen von Wissenschaft oder Wissenschaftsvermittlung entwickelt, in denen etwa auch Unterhaltung und Phantasie eine wichtige Rolle spielen. Unterhaltsam war jedenfalls ihr exzentrischer Besuch in der Royal Society und wurde nicht vergessen. Der Besuch war ein Signal, das lange nicht gehört wurde, bis in unsere Tage hinein nicht. Denn erst ab 1945 durften Frauen Vollmitglieder in der Royal Society werden. Fast dreihundert Jahre lang, schreibt Londa Schiebinger, waren die Frauen dort lediglich durch ein weibliches Skelett in der anatomischen Sammlung der Gesellschaft vertreten.

Ein Beitrag von Prof. Elmar Schenkel


Margaret Alic, Hypatias Töchter. Der verleugnete Anteil der Frauen an der Wissenschaft. Zürich: Unionsverlag 1987.

Margaret Cavendish, The Blazing World & Other Writings. London: Penguin 1994.

Londa Schiebinger, Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft. Stuttgart: Klett-Cotta 1993.

Elisabeth Wilhelmine Strauß, Die Arithmetik der Leidenschaften. Margaret Cavendishs Naturphilosophie. Stuttgart: Metzler 1999.


Überarbeitete Version eines Essays, der in Elmar Schenkel, Die elektrische Himmelsleiter, München: C.H. Beck 2005, erstmals abgedruckt wurde.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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