Geistertänzer

Tote Lakota im Schnee

„Ich wusste damals nicht, wieviel zu Ende ging. Wenn ich heute von dem hohen Berg meines Alters zurückblicke, kann ich die niedergemetzelten Frauen und Kinder verstreut und in Haufen entlang der gewundenen Schlucht so deutlich liegen sehen, wie ich sie sah, als meine Augen noch jung waren. Ich kann sehen, dass noch etwas anderes dort in dem blutigen Schlamm starb und vom Schnee begraben wurde. Eines Volkes Traum ist dort gestorben. Es war ein schöner Traum … des Volkes Rad ist zerbrochen und zerfallen. Es gibt keine Nabe mehr, und der heilige Baum ist tot.“

Black Elk

Der Geistertanz

Am 29. Dezember 1890 töteten Soldaten des 7. US-Kavallerieregiments etwa 300 Männer, Frauen und Kinder der Minneconjou-Lakota unter Häuptling Big Foot bei Wounded Knee. Dieses Massaker brach den letzten Widerstand der Indianer gegen die Weißen. Vorausgegangen war die Geistertanzbewegung des Paiute-Propheten Wovoka.

Wovoka

Die Geistertanzbewegung von 1890 ist ein Glied in einer Kette von chiliastischen bzw. nativistischen Bewegungen unter den Indianern Nordamerikas, die sich offenbar als Antwort auf die durch die Ankunft der Weißen hervorgerufenen Veränderungen von Osten nach Westen verbreiteten. Sie wurde Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts von dem Paiute-Propheten Wovoka ins Leben gerufen. Im Zentrum der Lehre stand der Glaube an die bevorstehende Ankunft Gottes und die damit verbundene Zerstörung und Erneuerung der Welt. In der Interpretation der verbitterten Plains-Stämme stand eine Naturkatastrophe bevor, die alle Weißen vernichten sollte. Das Wild und die toten Indianer würden zurückkehren und die Menschen ein Leben in ursprünglicher Glückseligkeit führen, für immer befreit von Tod, Krankheit, Alter und Not. Um dieses Ereignis zu beschleunigen, tanzten die Indianer den Geistertanz.

Die ersten Gerüchte vom Auftreten des Messias drangen im Winter 1888/89 zu den Lakota. Zu dieser Zeit befand sich der Stamm in einer verzweifelten Situation. Die Lakota hatten zwei Drittel ihres Landes verloren, und ihr verbleibendes Territorium war auf fünf kleine Reservationen aufgeteilt worden. Die Bisons waren ausgerottet, ihre Rinder durch eine Seuche dezimiert und ihr Getreide durch eine Dürre vernichtet. Epidemien von Masern, Grippe und Keuchhusten lösten einander in schneller Folge ab und forderten zahlreiche Opfer. Die alten Rituale waren von der Regierung verboten worden, und die Lakota sahen sich auch mit einer religiösen Krise konfrontiert.

Eine Delegation unter Short Bull und Kicking Bear reiste im Herbst 1889 nach Nevada, um die Gerüchte zu überprüfen. Im März 1890 kehrten sie zurück – stark beeindruckt von dem Messias und seiner Botschaft. Die neue Lehre verbreitete sich sehr schnell unter den verzweifelten Indianern und war bereits innerhalb von ein paar Monaten von der Mehrheit des Stammes akzeptiert. Im Oktober 1890 wurde der erste Geistertanz durchgeführt. Bald tanzte man ihn auf allen Reservationen.

Die Lakota tanzten um einen Baum oder Pfahl, der im Zentrum des Tanzplatzes errichtet wurde. Die Tänzer hielten sich an den Händen und bewegten sich, die Füße kaum vom Boden hebend, im Kreis von rechts nach links, dem Lauf der Sonne folgend. Dabei sangen sie die Geistertanzlieder – zuerst halblaut, dann zu voller Lautstärke anschwellend. Während die Tänzer sich im Kreis bewegten und die Lieder sangen, steigerte sich die Aufregung, bis die Teilnehmer in Trance verfielen.

Geistertanz in der Pine Ridge Reservation

Das wichtigste Merkmal des Geistertanzhemdes bei den Lakota war das Geistertanzhemd, das von allen Tänzern getragen wurde. Wegen der Seltenheit von Hirschleder wurde es fast immer aus weißem Stoff gefertigt, aber auf indianische Art geschnitten und mit Adlerfedern verziert sowie mit Symbolen aus der Stammesmythologie und den Trance-Visionen der Tänzer bemalt. Die Lakota glaubten, dass das Hemd seinen Träger unverwundbar mache.

Wounded Knee

Von den Behörden wurde der Geistertanz als Hindernis bei der Zivilisierung der Indianer und als potentieller Brutplatz für Unzufriedenheit und Rebellion betrachtet. Die Versammlungen unterbrachen den Rhythmus des Reservationslebens. Viele Amerikaner fühlten sich durch die Lehre von der Vernichtung der Weißen verunsichert und befürchteten einen Aufstand. Der Geistertanz wurde verboten, doch viele Indianer tanzten trotz des Verbotes weiter. Die Agenten waren durch die tanzenden Indianer permanent beunruhigt und baten um militärische Unterstützung, da ihnen die Situation außer Kontrolle zu geraten schien. Am 17. November 1890 wurden fast 3000 Mann starke Truppen ins Lakota-Gebiet beordert. Das Erscheinen des Militärs verursachte Panik unter den Indianern, und viele verließen ihre Reservationen und flohen in die Bad Lands, eine karge Landschaft nördlich der Pine Ridge Reservation in South Dakota.

Entsprechend den Instruktionen der Indianerbehörde BIA hatten die Agenten der Lakota-Reservationen Listen von Anführern der Geistertanzbewegung eingereicht, deren Verhaftung und Entfernung von der Reservation sie empfahlen. An erster Stelle der „Unruhestifter“ stand Sitting Bull, nachdem Short Bull und Kicking Bear in die Bad Lands geflohen waren. Am 15. Dezember 1890 wurde Sitting Bull von Indianerpolizei erschossen, als seine Anhänger versuchten, seine Verhaftung zu verhindern.

Nach Sitting Bulls Tod war Häuptling Big Foot der einzige prominente Führer außerhalb der Bad Lands, der von den Amerikanern als gefährlich erachtet wurde. Am 28. Dezember wurde er mit seiner Gruppe von etwa 350 Menschen von Truppen der 7. Kavallerie auf der Flucht in die Bad Lands abgefangen und zu einem Militärlager am Wounded Knee Creek gebracht. Am nächsten Morgen wurde den Kriegern befohlen, ihre Waffen abzugeben. Die Offiziere waren mit der Zahl der abgelieferten Waffen nicht zufrieden und befahlen den Soldaten, die Zelte zu durchsuchen. Ein junger Indianer gab einen Schuss ab. Auf dieses Signal hin eröffnete die Kavallerie das Feuer.  Häuptling American Horse berichtete später über das Massaker:

„Die Männer waren von den Frauen getrennt und von den Soldaten umringt. Als das Feuer begann, wurden die Indianer, die unmittelbar um den jungen Mann standen, der den ersten Schuß abgegeben hatte, fast alle getötet, worauf die Soldaten sofort ihre Gewehre auf die Frauen richteten, die unter der Flagge des Waffenstillstandes bei ihren Zelten standen. Mit diesem Feuerüberfall setzte gleichzeitig eine sofortige Flucht der Indianer ein. Die Männer entkamen in einer Richtung, während die Frauen nach zwei anderen Seiten davonstürzten, so dass die allgemeine Flucht in drei verschiedenen Richtungen erfolgte. Die Frauen und Kinder lagen tot um das ganze kreisförmig errichtete Lager verstreut bis auf die, die geflohen waren. Ich sah eine Frau mit ihrem Kind in den Armen ganz nahe der Flagge des Waffenstillstandes tot am Boden liegen. Das Kind, nicht wissend, dass seine Mutter tot war, versuchte, an ihrer Brust zu trinken. Das war ein besonders trauriger Anblick. Die Frauen, die mit ihren kleinen Kindern flohen, wurden getötet, sogar schwangere Frauen. Dann wurde von den Soldaten ausgerufen, dass alle diejenigen sich in Sicherheit befänden, die aus ihren Zufluchtsstätten hervorkämen. Kleine Jungen, die unverwundet geblieben waren, kamen daraufhin aus ihren Verstecken hervor und wurden von den Soldaten gleichfalls hingeschlachtet.“

Massengrab von Wounded Knee

Einer Schätzung zufolge wurden bei dem Massaker etwa 300 Menschen getötet. Am Neujahrstag 1891, drei Tage nach dem Massaker, marschierte ein Trupp Soldaten zum Wounded Knee, begrub die toten Indianer in einem Massengrab und sammelte die Verwundeten auf. In der Zwischenzeit hatte es einen schweren Schneesturm gegeben und die Toten, darunter auch Big Foot, waren zu grotesken Gestalten erstarrt. Viele der Toten wurden von den Weißen, die es auf die Geistertanzhemden abgesehen hatten, entkleidet.

Mending the Sacred Hoop

Entsprechend den Traditionen der Lakota sollte alles, was die Indianer heimsucht, von der siebenten Generation überwunden werden. Der Oglala-Medizinmann Black Elk hatte auch vorausgesagt, dass das „heilige Rad“ des Stammes während der siebenten Generation wieder zusammengefügt werden würde. (Das „heilige Rad“ ist eine Metapher aus Black Elks Vision, die er in seinem Buch „Black Elk Speaks“ auf verschiedene Weise benutzt. Einerseits repräsentiert er die sieben Abteilungen der Lakota, andererseits die holistische Philosophie der traditionellen Lakota-Kultur im Vergleich zur „square culture“ der Weißen. Neihardt verband Black Elks Bild des sacred hoop mit den Ereignissen von Wounded Knee und schloss, das Rad sei zerbrochen und zerfallen.) Eines der Resultate dieser Vorstellung ist die Big Foot Memorial Ride Society (Si Tanka Wokisuye Okolakiciye), die 1985 gegründet wurde.

Die Initiatoren Alex White Plume, Birgil Kills Straight und Arvol Looking Horse stellten den Gedenkritt zum 100. Jahrestag des Massakers von Wounded Knee unter das Motto „Mending the Sacred Hoop“. Unter diesem Banner ehrten die Reiter ihre toten Vorfahren und kehrten damit die symbolische Bedeutung von Wounded Knee als einem machtvollen Bild der Unterwerfung der Indianer um. Ein zweites Ziel des Rittes war, den Nachfahren der bei Wounded Knee Getöteten und Verwundeten zu ermöglichen, ihre Trauer zu beenden. Die Zeremonien, die zum Zeitpunkt des Massakers nicht durchgeführt worden waren, wurden jetzt abgehalten. Dies half den trauernden Familien, mit ihrem Leben fortzufahren.

Seitdem nehmen jährlich immer mehr Menschen an diesem Ritt teil. Die Reiter und ihre Pferde erdulden Kälte und Mangel an Nahrung und Wasser, wenn sie den Weg nachvollziehen, den ihre Vorfahren nach Wounded Knee nahmen. Sie führen eine weiße Flagge mit sich, die ihre Hoffnung auf Frieden in der Welt symbolisiert und an die Opfer des Massakers erinnern soll.

Ein Beitrag von Dr. Claudia Roch

Literaturhinweis:

Claudia Roch. Die Geistertanzbewegung von 1890 und das Massaker von Wounded Knee. In: Vom Janusgesicht des Menschen. Texte zu Krieg und Frieden von der Antike bis zur Gegenwart. Günter Gentsch/Christoph Sorger/Reiner Tetzner (Hrsg.). Leipzig: edition vulcanus 2014. S. 203-223. 

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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