Possen, Spiel und Hochstapelei, oder: Der Weg des Tricksters

Der Trickster liebt das Spiel, bei dem man manches Mal den Kopf verlieren kann, und das hindert ihn an einer nachhaltigen Arbeit. Es fehlen Fleiß, Verantwortung, Zukunftsdenken. Wenn es ihm langweilig wird, schmeißt er das Spiel hin. Darin ist er sehr kindlich. Faule wie Trickster schreiben keine Romane. Aber wenn sie es tun, werden es Anti-Romane, die sich selbst immer wieder aufheben oder sich über sich selbst und das eigene Unterfangen, seriös sein zu wollen, lustig machen. Ich denke an Lawrence Sternes Tristram Shandy, an Denis Diderots Jacques der Fatalist oder an Musils Der Mann ohne Eigenschaften. Viele Postmoderne lieben den Trickster als ein solches Prinzip, etwa John Barth, Donald Barthelme, Julio Cortázar, Jorge Luis Borges, Salman Rushdie und viele andere. Vielleicht kann man literarische Epochen sogar nach ihrer Nähe zur Tricksterhaftigkeit einordnen. Natürlich ist der Trickster, eben weil er auch für Autoren stehen mag, eine beliebte Figur in der Literatur. Er tritt dort unter anderem als Hochstapler, Schelm, Betrüger oder Dieb auf.

Felix Krull, im gleichnamigen Roman von Thomas Mann, ist ein solcher, der sich mit viel Glück, Charme und Scharade durch das Leben hinaufschmuggelt in höhere und bessere Positionen. Es wird gesagt, dass dieser Roman Manns autobiographischster sei. Intelligente und dabei erfolgreiche Menschen leiden bekanntlich manchmal unter dem Hochstapler-Syndrom. Sie können ihren Erfolg gar nicht fassen, weil ihnen alles so leichtgefallen ist; deshalb nehmen sie an, dass sie eigentlich Hochstapler seien. Vielleicht war es mit Thomas Mann ähnlich. Da macht etwas sehr viel Freude, eben das Schreiben dicker Romane, und dann wird man dafür noch belohnt, unter anderem mit einem Nobel-Preis. Das Vorbild für Felix Krull war der rumänische Hoteldieb Georges Manolescu, der durch seine erfolgreichen Diebestouren vor Gericht kam, aber eben auch in das Licht der Öffentlichkeit, was der Hochstapler ja auch braucht. Bekommt er es nicht so, dann muss er es sich verschaffen durch einen Skandal.

Frühe Hochstapler-Trickster waren die Alchemisten, die durch Jahrhunderte Leute über den Tisch zogen, indem sie ihnen das Gold vom Himmel versprachen. Die niederländische Malerei etwa ist voll von diesen Betrügern, die den Leuten die letzten Groschen aus der Tasche ziehen. Dante wies ihnen schon einen niedrigen Platz in der Hölle an. In Ben Jonsons Drama The Alchemist (1610) bewohnen zwei Betrüger das Londoner Haus eines Reichen, der gerade in Sommerfrische auf dem Lande weilt. Dort bieten sie ihre Dienste als Goldmacher, Wahrsager, Lehrer in Streitkünsten und Geomanten an und ziehen damit eine Menge Eitler, Geldgieriger und Fanatiker heran, die für Geld ihre Bedürfnisse befriedigt sehen wollen. Am Ende fliegt das ganze Geschäft auf, aber die beiden Trickster haben den Zuschauern gezeigt, wie fehlbar und gierig die Menschen sind. Hier kommt also deutlich eine Funktion des Tricksters zur Geltung: dass er die Menschen zu Bewusstsein bringt, auch über ihre Dummheit und Verblendung.

Die Opfer sehen das immer anders, ob in der Literatur oder der Realität. Denken wir an den Bauspekulanten Jürgen Schneider, der in den 1990ern einige wertvolle Immobilien sanierte, so die Mädler-Passage in Leipzig, und dann mit einer Milliardenpleite auf die Nase fiel. Sehr zum Leidwesen vieler Handwerker, die auf ihre Bezahlung warten. Zumindest sollen die Erträge aus seinem Buch Bekenntnisse eines Baulöwen ihnen zugutekommen (heißt es). Das ist die negative Seite dieser Hochstapelei. Die positive ist, dass Schneider durch sein Auftreten viele Investoren und Banken gewinnen konnte, um die Verschönerung einer heruntergekommenen Stadt wie Leipzig voranzutreiben. Wer sich heute beim Gang durch die Mädler-Passage am neuen Glanz erfreut, darf auch an jenen Trickster als Baulöwen denken – und an dessen Opfer.

Der Trickster liebt den Auftritt und die Selbst-Verwandlung, das Schauspiel überhaupt. Er inszeniert sich, darin liegt sein wichtigstes Ziel. Im Übrigen scheint Leipzig (mit Sachsen) immer schon für Trickster ein Eldorado gewesen zu sein. Liegt es daran, dass der Schutzpatron der Stadt auch ein Trickster reinsten Wassers ist? Jedenfalls lächeln von vielen Fassaden Leipzigs die Gesichter des Hermes/Merkur herab, der ja Patron der Händler und leider auch der Diebe ist. Handel hat von jeher auch mit Betrug zu tun, mit falschen Vorspiegelungen, Rosstäuschungen und ungedeckten Schecks und ist daher per se dem Raub verwandt. Man gibt sich für mehr aus, als man ist; der Schein bestimmt das Bewusstsein, mehr noch: der Schein bestimmt das Sein. Und wenn es nur der gefälschte Geldschein ist. In der langen Geschichte des Zu-sammenlebens von Handel und Betrug in Leipzig und Sachsen seien nur drei Episoden erwähnt, mit denen Trickster ihre Spuren hinterlassen haben. Einmal der Freimaurer, Okkultist und Gastwirt Johann Georg Schrepfer (1738-1774), der Geistervorführungen machte, sich als Adliger ausgab und sich Kredite durch Vorspiegelung von Vermögen erschwindelte. Als Freimaurer konnte er von Geheimnissen prahlen, als früher Kinematograph aber setzte er das Geheimnis um in Technik. Mittels optischer Geräte und Nebelerzeugung konnte er seine Geisterbeschwörung einem gierigen Publikum glaubhaft machen. Am Ende, möglicherweise, weil ihm seine Betrügereien um die Ohren flogen, brachte er sich um, indem er sich vor Zeugen erschoss. So war er medienwirksam bis zum Schluss, um noch im Tod Aufsehen zu erregen.

Der Trickster will ja trotz seiner Vortäuschungen auch immer gerne als Zauberkünstler gesehen werden, er braucht das Publikum. Ähnlich jener arme Mann aus dem Erzgebirge, der sich 1864 in Leipzig als Dr. Heilig ausgab und als „Augenarzt und früher Militär“ ein Rezept verschrieb und mit Kleidungsstücken aus einem Kleiderladen verschwand. Als Seminarlehrer Ferdinand Lohse nahm er später Pelze im pelzreichen Leipzig mit, ebenso als Hermes Kupferstecher. Spätestens bei diesem Namen hätte man aufhorchen können. Aber er trieb es weiter als Polizeileutnant von Wolframsdorf, der vorgebliches Falschgeld konfiszierte. Selbst nachdem er im Gefängnis gesessen hatte, machte er weiter, diesmal als Assessor Anton Clemens Laube, der sich wieder auf das Einziehen von Falschgeld spezialisierte. 1870 tritt er als Schriftsteller Heichel in Halle auf, kurz darauf ist er als Albin Wadenbach Abkömmling eines Adelsgeschlechts. Der Selbstverwandler und Betrüger ist kein anderer als Karl May. Man muss sich fragen, inwieweit nicht sein Werk selbst von solchen Masken lebt: Kara ben Nemsi und Old Shatterhand als fiktional ausgelebte Hochstapler. Später wird May sich selbst als diesen Old Shatterhand bezeichnen, wenn er Besuch in seinem Domizil in Radebeul aus aller Herren und Damen Länder bekommt. Da posiert er dann mit der erfundenen Silberbüchse und erzählt vom Tode Winnetous.

Natürlich hat hier der Trickster in erster Linie eine Selbststilisierung im Blick, die allerdings auch auf gesellschaftliche Anerkennung zielt. May bot vielen ähnlich gesinnten Hochstaplern, die wir alle in einem bestimmten Alter sind, Möglichkeiten der Identifikation. Wir tragen dann ebensolche Masken wie der Autor, der sie für sich erschuf. Wir sind allmächtig und schnell wie Kara ben Nemsi, wir schießen so präzis wie Old Shatterhand, wir sind so frei und edel wie Winnetou. Sigmund Freud hat Allmachtsphantasien einer bestimmten Entwicklungsphase zugeschrieben, die manche von uns erst später oder gar nicht hinter sich bringen. Damit hat Karl May Generationen eine Sozialisationsform geboten. Der Autor als Täuscher und Betrüger, der Erfinder von Fiktionen hat Rezepte geliefert, wie man als junger Mensch würdig zum Erwachsenen werden kann – und dabei die Welt entdeckt. Jetzt kommen sicherlich auch viele Kritiker und werden zeigen, welche unseligen Wirkungen Karl May auf uns alle gehabt hat. Auch das ist richtig. Auch Hitler war ein Fan von Karl May, ebenso wie Ernst Bloch. Hier stehen sich ähnliche Pole gegenüber wie bei Nietzsche, dem philosophischen Trickster. Die Ambivalenz ist ihnen gemeinsam mit der mythischen Figur, die auf der einen Seite Aufklärung über dunkelste Triebe der Gelackmeierten gibt, andererseits sehr destruktiv wirken kann.

 Ähnliches gilt für den dritten sächsischen Fall, Gert Postel (geb. 1958), der die Psychiatrie zwischen 1980 und 1997 bloßstellte. Der Sohn einfacher Eltern, der die Mittlere Reife erreichte, war tatsächlich Postbote von Beruf. Schon als Schüler soll er den Weser-Kurier mit Falschmeldungen versorgt haben, rein spaßeshalber. Mit gefälschten Zeugnissen und Urkunden, aber vor allem durch sein selbstsicheres Auftreten gelang es ihm, in die medizinische Welt einzudringen. So wurde er schon mit 24 stellvertretender Amtsarzt in Flensburg, obwohl er zuvor einmal als falscher Psychotherapeut in Oldenburg aufgeflogen war. Damals gab es eine Geldstrafe. Jetzt flog er wieder auf und erhielt eine Strafe auf Bewährung. Es folgten weitere interessante Anstellungen unter anderen Namen und zuletzt wurde ihm gar eine Professur in Sachsen angeboten, die er aber nicht annahm, obwohl er von höchster Seite, nämlich dem Minister in Dresden, unterstützt wurde. Er blieb lieber Oberarzt in Zschadraß, bis er dort von einer Ärztin aus Schleswig-Holstein enttarnt wurde. Das Buch Doktorspiele, das er während seiner Zeit im Gefängnis schrieb, machte ihn berühmt und avancierte zum Bestseller. Das Vorwort eines Dr. Gert von Berg schrieb er selbstverständlich selbst. Die Antipsychiatrie war begeistert von diesem Coup, zeigte er doch, auf welchen hohlen Fundamenten die psychiatrischen Hierarchien gebaut sind. Dass er dabei auch viel Schaden angerichtet hat, dürfte klar sein. „Seine Tätigkeit im Nervenkrankenhaus beschreibt er als die eines Hochstaplers unter „Hochstaplern“, stellte Burkhard Müller im Merkur fest. Postel, der heute, mit einer Juristin verheiratet, in Tübingen lebt, ist mit vielen Wassern gewaschen, auch theologischen und philosophischen. Es hilft vielleicht, sein Tun zu verstehen, wenn man hört, dass er ein großer Anhänger von Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung ist. In dem Titel ist seine ganze Lebensbotschaft enthalten.

Der Trickster deckt hier durch sein Handeln zweifelhafte Gutachten und Strukturen auf, doch ist es wohl auch Narzissmus, der ihn in diese Karrieren zog, denn nicht selten, wenn er hochgestellte Persönlichkeiten anrief, um einen gewissen Herrn Postel für eine Stelle zu empfehlen, machte er sich zum Apostel des Postel. Heiratsschwindler hätte er auch werden können, mit falschen Titeln und prallen Konten. Das Sich-Ausstaffieren mit dem, was einem nicht zusteht, um bestimmte Ziele zu erreichen für sich – das kann durchaus gesellschaftliche Probleme bloßlegen. Ebenso wie es 1906 jener legendäre Hauptmann von Köpenick tat, als er mit einer Uniform loszog, sich eine kleine Truppe zusammenstellte und den Bürgermeister von Cöpenick/Berlin verhaftete, um sich sodann mit der Stadtkasse aus dem Staub zu machen. Es scheint, dass gerade in Umbruchszeiten, wenn die Unsicherheit einzieht, der Hochstapler seine großen Geschäfte macht. Dazu gehören neben der Zeit um 1900 auch die Zwanziger Jahre, in denen Maske und Schein zu neuen Triumphen auffahren, so wie jene Figur von Scott Fitzgeralds Kultroman Der Große Gatsby selbst.

Zum Schluss sei noch an einen der größten Coups der Geschichte der Hochstapelei erinnert, als sich nämlich je mand daran machte, den Eiffelturm zu verkaufen. Der Eiffelturm, lange angefeindet, sollte tatsächlich verschrottet werden. Dem amerikanisch-böhmischen Trickbetrüger und Kartentäuscher Viktor Lustig (1890-1947) gelang es in den 1920ern sich als Besitzer dieses Schrotthaufens auszugeben. Lustig konnte eine ganze Reihe von Schrotthändlern einladen und ihnen das Geschäft so schmackhaft machen, dass am Ende ein dicker Fisch anbiss. Als dieser Fisch namens (ausgerechnet) Poisson den Brocken verschlucken wollte, merkte er, dass er gefoppt worden war und der Betrüger mit 50 000 Dollar über alle Berge war. Auch hier scheint die Gier blind gemacht zu haben.

Man könnte mit diesen Figuren der Täuschung fortfahren, sie sind sicherlich ewige Begleiter der ehrlichen Menschen, die an ihnen aber erkennen, dass sie selbst gar nicht immer ehrlich sind. Vielmehr verfallen auch sie Denkfehlern, Hypnosen oder einem Charisma und werden so zu willigen Opfern. Das Krumme, Schiefe und Schräge, die Zuspitzung (zum Beispiel als Twitter-Nachricht) springen uns an, bieten vermeintliche Auswege, aber manchmal auch echte und notwendige Umwege. Sollten wir neben den genannten geometrischen Formen ein Wörtchen oder ein Wortteil suchen, das den Trickster kennzeichnet, so ist es die Vorsilbe ver-. Denn der schräge Vogel verführt, verwirrt, verleitet, verdunkelt und vernebelt, verzaubert und verknotet, und noch vieles mehr. Die menschliche Täuschbarkeit ist unendlich und hat mit unseren eigensten Schwächen zu tun: wir sind neugierig, eitel und schwach, wir haben Mitleid, wir möchten gelobt und wir möchten verzaubert und gelegentlich auch vernebelt und verwirrt werden. Trickster sind daher unsere Wecker. Wenn sie klingeln, ist es höchste Zeit aufzustehen.

Beitrag von Prof. Elmar Schenkel

Literaturhinweis:

Elmar Schenkel: Die Krähe auf dem Eiffelturm. Erscheinungsformen des Tricksters in Literatur, Kunst und Gesellschaft. In: Schöpfer, Schelm und Schurke – Der Trickster im mythologischen Zwielicht. Claudia Roch/Maren Uhlig (Hrsg.). Leipzig: edition vulcanus 2018.

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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