Das Fabelwesen des Monats November

Geldkröte

Weißt Du eigentlich, was für ein Glück Du hast, mich hier anzutreffen? Ich lebe eigentlich auf dem Mond, so in einer Art von Wohngemeinschaft mit einem Hasen und einem arbeitswütigen Holzfäller und das ist oft sehr stressig. Also brauche ich ab und an eine Auszeit und komme heimlich auf die Erde. Meine Verwandten leben hier, immer in der Nähe von Wasser. Sie sind zahlreich wie die Wassertropfen.

Eigentlich sind sie gar nicht richtig mit mir verwandt, denn ich bin früher eine Frau gewesen. Mein Name war Ch’ang E und ich war mit Hou Yi, dem besten Bogenschützen und Vollbringer vieler Heldentaten verheiratet. Er leistete dem Kaiser Yao wichtige Dienste und bekam von der Königlichen Mutter des Westens Xi Wang Mu den Extrakt des Pfirsichs der Unsterblichkeit in einer Pille als Geschenk. Wir sollten sie uns teilen, um beide unsterblich zu werden. Aber als ein Dieb versuchte, die Pille zu stehlen, steckte ich diese in den Mund und verschluckte sie. Ich hatte jetzt so viel Unsterblichkeit in mir, dass ich in die Luft aufstieg und erst auf dem Mond wieder landen konnte. Hier war es sehr kalt und kahl. Nur ein weißer Hase mit roten Augen namens Pinying yútú lebte hier und wurde mein Begleiter. Bei Vollmond am Himmel könnt ihr ihn als Mondhasen sehen.

Ich selbst verwandelte mich in eine Kröte und heiße nun Ch’ang-ngo. Allerdings habe ich nur drei Beine. Ich hatte anfangs nur meine zwei Beine, aber wie soll eine Kröte so hüpfen können? Der himmlische Kaiser erlaubte mir dann, einen Kaulquappenschwanz als drittes Bein zu bekommen. Böse Menschen behaupten allerdings, der Held Liu Hai hätte mir das vierte Bein bei einem Kampf abgeschlagen, aber das weiß ich besser! Er wollte mit mir um das Geheimnis des Reichtums kämpfen. Mit einer Schnur, auf die viele Münzen gefädelt waren, sprang er auf meinen Rücken und hat damit zugeschlagen, das tat gehörig weh. In manchen Geschichten behauptet man nun, Liu Hai hätte nur mit mir gespielt und mich mit einer Geldschnur aus meiner Quelle gelockt. Wie auch immer, wir beide werden von den Menschen nun als Symbol für Reichtum betrachtet. Die schuppige Haut auf meinem Rücken ähnelt Geldstücken und mein Körper sieht beinahe aus wie ein Geldbeutel. Wenn ich will, kann ich Münzen ausspucken und mit meiner Kraft könnte ich auch Schulden in Guthaben verwandeln. Deshalb stellen viele Erdenbewohner, so wie Du, ein Abbild von mir in ihre Behausungen und hoffen auf Reichtum. Na, dann viel Glück!

Von Zeit zu Zeit verschlucke ich den Mond und dann spucke ich ihn wieder aus. An der Mondfinsternis und dem neu erscheinenden Mond könnt ihr erkennen, dass ich noch immer unsterblich bin. Damit das so bleibt, müsste ich weitere Unsterblichkeitspfirsiche verspeisen, doch die gibt es hier oben nicht. Aber der Mondhase versucht, in einem Mörser immer neue Unsterblichkeitsmedizin aus Bambussaft, Froschhirn und Zimtrinde vom Cassiabaum herzustellen. Auf dem Mond wächst ein riesiger Cassiabaum, dessen Zweige immer wieder den Mond verdunkeln. Aber es gibt ja zum Glück den starken Wu Gang, der den immer wieder von neuem nachwachsenden Baum zu fällen versucht. Der ist hier oben gelandet, weil er eine Schwalbe gequält hat. Sein Nachbar hatte eine verletzte Schwalbe gesundgepflegt und von ihr Gurkensamen bekommen, aus dem mit Goldmünzen gefüllte Gurken wuchsen. Das wollte Wu Gang auch haben und er fing eine gesunde Schwalbe, verletzte sie und pflegte sie dann wieder gesund. Aus ihrem Gurkensamen wuchs eine Pflanze, die bis hier oben auf den Mond reichte. Wu Gang kletterte an ihr hinauf und hoffte auf Gold und Silber. Als er hier ankam, verschwand die Gurkenpflanze und er muss nun auch hier oben leben.

Über uns Mondbewohner erzählen die Buddhisten und Taoisten die unterschiedlichsten Geschichten, was Du davon glauben willst, ist allein Deine Angelegenheit. Wir haben aber nun genug Zeit verplaudert, ich mach mich mal wieder auf den Heimweg.

War nett mit Dir zu reden, Birgit Scheps-Bretschneider!

 

Weitere Informationen über mich findest du bei:

Blofeld, John: Der Taoismus oder Die Suche nach Unsterblichkeit. München, 1998,

Debon, Günter und Speiser, Wolfgang: Chinesische Geisteswelt. Hanau, 1987.

Münke, Wolfgang: Die klassische chinesische Mythologie. Ernst Klett Verlag, 1976.

Yang, Shanshan. “Frogs and toads in Chinese myths, legends, and folklore.” Chinese America: History and Perspectives, 2016, p. 77ff.