Der Schelm vom Romanushaus

Dem einen oder anderen Besucher der Stadt Leipzig werden sie wohl aufgefallen sein, die vielen wunderschönen Verzierungen an den Gebäuden der Altstadt. Wenn man aufmerksam durch die Straßen spaziert, begegnet man unwillkürlich einer reichen Auswahl an mythischen Fabelwesen, Teufelsgestalten und antiken Gottheiten.

Besonders augenfällig präsentiert sich eine Skulptur des römischen Gottes Mercurius, welche aus einer Nische unter dem Eckerker des Romanushauses heraus den Besucher freundlich zu empfangen scheint. Das mit Girlanden und sonstigen Schmuckelementen reichlich ausgestattete Gebäude gehört zu den ältesten barocken Bauwerken der Stadt Leipzig. Die steinerne Gottheit begegnet dem Betrachter nicht von weit oben herab, sondern  lächelt ihm auf eine doch eher schelmische Weise nahezu auf Augenhöhe entgegen. Es scheint fast so, als wolle der neckische Mercurius den Betrachter dazu auffordern, näher zu treten, auf dass er sein Geheimnis ergründet.

Hermes galt in griechischer Zeit als Schutzgott des Verkehrs, der Reisenden, der Kaufleute und der Hirten. Aber dem nicht genug, denn er galt auch als Gott der Diebe, der Kunsthändler, der Redekunst und der Magie. Ja sogar als Gott der Gymnastik fand Hermes in der Zeit der griechischen Antike Verehrung. In seiner Funktion als Götterbote gab er die Beschlüsse des mächtigen Gottes Zeus bekannt; zudem geleitete er die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt. Die zwei Flügel, die Hermes auf Abbildungen häufig an seinem Helm trägt, zeugen wohl von der ihm zugedachten Rolle als Vermittler zwischen Göttern und Menschen. Oft wurde Hermes auch mit dem sogenannten Hermesstab dargestellt, einem geflügelten Zepter, um das sich zwei Schlangen winden. Dieser Stab soll Hermes dazu befähigt haben Menschen einzuschläfern, um ihnen intensive Träume zu schenken. Hermes als eindeutig gute Gottheit zu verklären, würde seiner ursprünglichen Bedeutung aber nicht gerecht werden, denn er stand wohl eher zwischen Gut und Böse. Vielleicht verband er in seiner Gestalt und mit seinen Attributen das Dunkle wie das Helle, das Gute wie das Schlechte. 

Mit dem Symbol des Hermesstabes war in griechischer Zeit bereits eine lange Tradition verbunden, denn schon die babylonische Himmelsgöttin Ishtar, Göttin der Liebe und des Krieges, hielt auf Abbildungen häufig einen von zwei Schlangen umwundenen Stab in Händen. Als Gott der Heilkunde galt in der griechischen Mythologie Gottheit Asklepios, zu dessen Attributen ebenfalls ein derartiger Stab gehörte. Der sogenannte Äskulapstab unterscheidet sich vom Hermesstab insofern, als das er nur noch von einer Schlange umschlungen wird. Auch im Alten Testament der Bibel wird ein ähnlicher Stab erwähnt. Die sogenannte Eherne Schlange, ein von einer Schlange umwundener eiserner Stab, sollte die Menschen vor dem Biss giftiger Schlangen schützen und Heilung schenken. Heute kennen wir das Symbol des Äskulapstabes als Zeichen der Apotheken oder ganz allgemein als Symbol der Medizin.

In römischer Zeit setzte man Hermes mit Mercurius gleich. Auch hier galt Mercurius als Götterbote und als Gott der Händler und der Diebe. Abgebildet wurde er häufig mit einem Geldbeutel, den er meist in seiner rechten Hand hielt. Diese Darstellungsweise entspricht der freundlich lockenden, aber dennoch zwiespältig und ein wenig hinterhältig erscheinenden Skulptur an der Fassade des Romanushauses.

Um zu verstehen, was es denn nun mit dem neckischen Mercurius an der Häuserfassade auf sich hat, müssen wir uns auf eine kleine mentale Reise in die Zeit des Barocks begeben. Der Bauherr des Romanushauses war ein Leipziger Bürger namens Franz Conrad Romanus, ein studierter Jurist. Einige Jahre arbeitete der junge Advokat als Rechtsanwalt, bis der sächsische Kurfürst Friedrich August I. (August der Starke) auf ihn aufmerksam wurde und Romanus zu sich in seine Residenzstadt Dresden holte. Im Jahre 1701 empfahl der Landesherr dem Leipziger Rat, Franz Conrad Romanus das Amt des Bürgermeisters zu übertragen. Im Alter von dreißig Jahren wurde Romanus dann auch zum Bürgermeister der Stadt Leipzig ernannt, und schon bald darauf gewann er ein hohes Ansehen innerhalb der Leipziger Bevölkerung. Er kümmerte sich um die kommunale Infrastruktur, ließ die erste öffentliche Straßenbeleuchtung anlegen und eine Kanalisation bauen. Sogar ein bescheidener Nahverkehr in Form von öffentlichen Sänften entstand in seiner Regierungszeit. Den Ratsmitgliedern gewährte er eine Verdoppelung ihrer Bezüge und für die Armen gründete Romanus ein Almosenamt. Kurzum, er war erfolgreich und beliebt.

Doch wie das Leben manchmal so spielt, fallen diejenigen, die am höchsten stehen, oftmals auch in die tiefsten Abgründe. Franz Conrad Romanus besaß in Leipzig ein Eckhaus am Brühl, das er von seinen Vorfahren geerbt hatte. Von den wunderschönen barocken Gebäuden in Dresden angetan, beschloss er, das Eckhaus abzureißen und auf dem freiwerdenden Baugrund ein neues Stadtpalais errichten zu lassen. Um das Grundstück zu vergrößern, kaufte er noch drei benachbarte Gebäude hinzu, die er ebenfalls abreißen ließ. Die Größe dieses neuen Palais und die reichen Verzierungen sollten seine großen Erfolge während seiner Tätigkeit als Bürgermeister widerspiegeln und ihm vielleicht auch ein Denkmal setzen. Im Jahr 1704 waren die Baumaßnahmen abgeschlossen und das neue Romanushaus präsentierte sich in einer in Leipzig zuvor nicht gekannten barocken Schönheit.

Doch mit den immensen Baukosten verkalkulierte sich Romanus, wodurch sich mit der Zeit ein gewaltiger Schuldenberg anhäufte. Sein Amt als Bürgermeister gewährte ihm jedoch den Zugang zu ausreichenden Finanzmitteln und so ging er dazu über, den Bau des neuen Stadtpalais über gefälschte Ratsschuldscheine zu finanzieren. Das Ratssiegel der Stadt Leipzig missbrauchte er, um aus seiner persönlichen Notlage herauszufinden. Irgendwann flog der Schwindel dann auf. Als Strafe für den Missbrauch seines Amtes schickte ihn der Kurfürst auf die Festung Königstein in Haft, wo Franz Conrad Romanus 41 Jahre lang gefangen gehalten wurde. Romanusʼ Gnadengesuche wurden auch nach dem Tod von August dem Starken regelmäßig abgelehnt. Im Jahr 1746 verstarb Franz Conrad Romanus als geläuteter Häftling auf der sächsischen Festung Königstein, nahe der Stadt Dresden.

Bis heute erinnert Mercuriusʼ schelmisches Lächeln an der Fassade des Romanushauses daran, dass der Grad zwischen Ehrlichkeit und Verlogenheit oft nur sehr schmal ist und man gut daran tut, entgegengebrachtes Vertrauen besser nicht zu missbrauchen. Wer selbst einmal dieses steinerne Mahnmal kennenlernen möchte, dem sei ein Ausflug in die Leipziger Altstadt empfohlen. An der Ecke Brühl/Katharinenstraße wartet unser Schelm jeden Tag aufs Neue darauf, einen interessierten Besucher zu sich zu locken, um ihn seine bitter-süße Geschichte ins Ohr zu flüstern.

Der durch Maren Uhlig geleitete Stadtrundgang am letzten Sonntag des Monats Juni führte die Mitglieder und Freunde unseres Vereins zu den Sehenswürdigkeiten der Leipziger Altstadt. Mit Sachverstand und einem wachsamen Blick auch auf die eher versteckten architektonischen Schätze vermittelte sie den Teilnehmern viele interessante Informationen über die Stadtgeschichte. Schließlich hielten wir im Café Wagner Einkehr, um die gewonnenen Informationen und Eindrücke untereinander auszutauschen. Gern würden wir auch Sie, liebe Leser, im Rahmen unserer sonntägigen, jeweils am Monatsende stattfindenden, Stammtischgespräche begrüßen. Mehr dazu finden Sie hier…

Ein Beitrag von Andreas Erler

 

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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