Der Aufhocker

Leiden Sie öfters unter Rückenschmerzen, vor allem nachts, wenn Sie allein unterwegs sind? Gerade noch einmal mit dem Hund Gassi gegangen, Kino oder Party gefrönt und plötzlich ist da diese schleppende Schwere in den Schultern, die bei jedem Schritt schlimmer wird, während sich in der Brust ein merkwürdig beklemmendes Gefühl breitmacht. Schweiß tritt auf die Stirn. Die Fantasie läuft Amok mit wüsten Szenen direkt aus einem Albtraum von Hieronymus Bosch. Könnte der Alkohol sein. Könnte eine lebhafte Vorstellungskraft sein. Könnte auch ich sein.

Ich bin der Aufhocker, auch bekannt als Huckup (Hockauf), Bubak oder Ranzenpuffer. Und wie so manche Nachtgestalt bin ich kein sonderlich fröhlicher Geselle, denn ich habe die Angewohnheit, den Wanderern des Dunkels von hinten auf die Schultern zu springen und mich von ihnen tragen zu lassen. Entweder es glückt den Unglücklichen, dass sie mich abschütteln und so loswerden können oder sie brechen unter der Last zusammen. An diesem Kollaps ist aber nicht mein Gewicht Schuld, denn als Geist bin ich leichter als eine Feder; nein, es ist der Schrecken, den ich – Sinnestäuschung, die ich vorgebe zu sein – aus den Menschen herauskitzle. Jemanden im negativen Sinn den Atem zu rauben, ist mir ein Vergnügen. Angst ist eben mein nächtliches Geschäft. Erst durch morgendliches Glockengeläut, Hundegebell, ein Gebet, durch Lichter oder einen Fluch wird man mich endgültig los. Das behaltet ihr aber jetzt bitte für euch, verstanden?

Worauf ich sehr stolz bin: Mich gibt es in allen möglichen Gestalten. Ob Tier, Irrlicht, Zwerg, Wassermann, alte Frau oder Werwolf. Ich bin flexibel. Und ein Weltenbummler, denn ich komme in Sagen und Erzählungen von Spanien bis Island vor und sogar in Geschichten aus Tausendundeiner Nacht.

Manchmal mache ich mir sogar die Mühe und spreche euch an oder begleite euch ein Stück auf dem Weg, ehe ich euch den Rücken schwermache. Leidet ihr an Herzproblemen oder Phobien, kann das schon das eine oder andere Mal den Tod zur Folge habe. Das tut mir sehr leid. Denn das verdirbt auch mir den ganzen Spaß. Falls ihr also vorbelastet seid, versucht bitte Brücken, Bäche, Wälder, Wegkreuzungen, Hohlwege, Kirchhöfe, Seen sowie Tatorte von Morden und Richtstätten mit Galgen oder Richtblock zu vermeiden. Nur so als Tipp. Ich will ja nicht so sein, auch wenn mir eine gewisse Bosheit nachsagt wird. Ich bin ein Geist, ich will nur spielen. Und manchmal auch erlöst werden. Denn in einigen Fällen erfülle ich eine Aufgabe, die mir per Fluch quasi auferlegt wurde.

Im niedersächsischen Hildesheim hat man mir dafür sogar ein Denkmal gesetzt (auf dem ich wie ein finsterer Kobold ausschaue). Das in den Sockel gravierte Verslein besagt folgendes: „Junge, lat die Appels stahn,/ süs packet deck dei Huckup an / Dei Huckup is en starken Wicht,/ hölt mit dei Stehldeifs bös Gericht.“ (Junge lass das Äpfelstehlen/ sonst packt dich der Aufhocker/ der Aufhocker ist ein starker Wicht/der hält mit einem Dieb wie dir böses Gericht.)

Ich kann also Dieben und Tunichtguten durchaus eine Lektion erteilen. Als real gefühltes schlechtes Gewissen sozusagen und als Abschreckung. Als ich mit meinem Geschäft angefangen habe, kannte man mich übrigens als „aufhuckende Leiche“. Das kommt daher, dass die Menschen Wiedergänger ganz furchtbar fürchteten. Sie raubten euren warmen Körpern die Lebenskraft ganz ähnlich wie der Vampir. Nur ohne Blut. Um uns zu unterscheiden, bin ich dann zum Geist geworden. Das ist mir auch ganz recht so, denn als Leiche habe ich mich nicht so wohl gefühlt. Gestaltwandler sind da doch flexibler. Im westlichen Deutschland ist mein Kollege, der Stüpp, bekannt. Der tritt häufig in Werwolfform auf – ohne die Menschen zu zerfleischen, versteht sich. Wie bei mir, ist die Angst sein Ding, auch wenn er es manchmal doch arg übertreibt, denn sie nennen ihn oft Böxenwolf oder Klüngelpelz und fürchten ihn sehr.

Von einem anderen Kollegen, dem „Ranzenpuffer“ oder „Ranzebuffer“ aus Schwaben, wird übrigens erzählt, er sei einst ein Jäger gewesen, der Wein, Weib und Würfelspiel sehr zugesprochen habe. Von Gott hielt er nicht viel und Zauberei sei eines seiner Hobbys gewesen, weswegen er zur Strafe zweimal eintausend Jahre in der Gegend zwischen Tübingen und Böblingen sein Unwesen treiben muss. Dort erschreckt er die Wanderer durch sein Gebrüll, oft mitten rein ins Ohr. Aua. Manchmal erscheint er auch als Mensch (mal mit, mal ohne Kopf) und reitet auf einem Geisterpferd, einem Schimmel. Er hat mir mal erzählt, dass er drauf hofft, erlöst zu werden. Vielleicht ist er das auch schon, denn mir fällt gerade auf, dass ich ihn lange nicht mehr getroffen habe. Und ich muss es schließlich wissen. Denn als Aufhocker bin ich unsterblich.

Also liebe Leute, gebt auf eure Rücken acht und denkt dran, manche Angst ist einfach nur Angst und steckt in euren Köpfen.

Der Aufhocker dankt seiner Autorin Constance Timm.

Mehr von mir gibt’s bei:

Der Häseltrog. Sagen und Geschichten aus Schönbuch und Gäu. Bearbeitet von Eberhard Benz, Böblingen 1950. (Veröffentlichungen des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e.V. – Bd. 1)

Friedrich Ranke: Der Huckup. In: Volkssagenforschung, Stuttgart 1935, S. 39 ff.

Hanns Bächthold-Stäubli/Eduard Hoffmann-Krayer (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 1. Walter de Gruyter: Berlin, 1987.

Leander Petzoldt: Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister. 3. Aufl. C.H. Beck: München, 2003.

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

Eine Antwort auf „Der Aufhocker“

  1. Ich kenne ihn. Vor mir schon mein Vater und vorher schon meine Großmutter.
    Sie schreiben so als wäre das nur eine Erzählung…..
    Bin neugierig wenn er das nächste Mal zu mir kommt. War sehr interessant und beängstigend und es ist sehr interessant wie einen alle, denen man davon erzählt, für Verrückt erklären…
    Das erste Mal dachte ich ich werde sterben….
    Heute fürchte ich mich nicht mehr

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