Märchenhaftes aus dem hohen Norden – Mit Espen Aschenbengel im Land der Trolle. 30 norwegische Volksmärchen von Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe

Ein Reisender ist zu Gast in einem prächtigen Anwesen. Er trifft auf einen alten Mann und fragt diesen, ob er dort übernachten dürfe. Der Alte antwortet ihm, er möge dessen Vater fragen. Dieser verweist ihn auf seinen Vater und der wiederum auf seinen Vater. Letztendlich kommt der Reisende zum letzten Vater in der Reihe, dessen Erscheinung so schaurig ist, dass sie ihm einen gehörigen Schrecken einjagt.

Die recht seltsame, ja gruslige Geschichte „Der siebente Vater im Haus“ findet sich in der Märchensammlung „Mit Espen Aschenbengel im Land der Trolle“, erschienen 2013 im Verlag Edition Hamouda. Dieser Anthologie von 30 Märchen liegt die Norske Folkeeventyr zugrunde – eine Sammlung von ca. 150 norwegischen Märchen, ab Beginn der 1830er Jahre zusammengetragen und aufgeschrieben von den beiden Märchensammlern Peter Christen Asbjørnsen (1812-1885) und Jørgen Moe (1813-1882). Letztere kann man durchaus als die Brüder Grimm Norwegens bezeichnen. Mit ihrem Werk bereicherten sie das literarische Kulturgut ihres Heimatlandes enorm. Ihre Märchen erschienen in Norwegen erstmals 1841–1844 in vier Heften und wurden in den folgenden Jahren mehrfach überarbeitet und neu aufgelegt. Die Veröffentlichungen erfreuten sich großer Beliebtheit und trugen nicht unerheblich zum norwegischen Nationalbewusstsein bei.

Peter Christen Asbjørnsen erblickte in Kristiania (heute Oslo) das Licht der Welt, seine Familie jedoch stammte aus Gudbrandsdalen, ein Tal im mittleren Norwegen mit reicher volkstümlicher Tradition. Als Student lernte Asbjørnsen den fast gleichaltrigen Jørgen Moe kennen; beide bereisten ganz Norwegen und sammelten Volkserzählungen. Wie auch die Brüder Grimm bemühten sie sich, die Geschichten möglichst originalgetreu wiederzugeben und machten sich dadurch gleichzeitig um die norwegische Sprache verdient. Jedoch beendete Asbjørnsen schließlich sein Tätigkeit als Märchensammler und schlug eine Laufbahn als Forstmeister ein. Sein Porträt finden wir auf dem norwegischen 50-Kronen-Schein.

Jørgen Engebretsen Moe wurde auf einem Bauernhof in Südostnorwegen geboren. 1845 wurde er zum Professor für Theologie berufen; später wurde er Pfarrer. Neben den Märchensammlungen veröffentlichte er auch Gedichte sowie ein Kinderbuch.

Trolle und andere Protagonisten

In besagter Märchensammlung begegnen uns vertraute Märchenfiguren wie z.B. König, Prinzessin und Riese, Bär und Fuchs. Daneben lernen wir aber auch dem deutschen Sagenkreis fremde Figuren kennen wie z.B.  „Die drei Böcke Brausewind“, „Das Butterböckchen“ oder eben die Trolle.

Das Geschehen kommt mitunter recht grausam daher, was uns jedoch auch nicht zuletzt aus Märchen anderer Kulturkreise bekannt ist: „Die Gewalt gehört zu den archetypischen Elementen, ohne die das Märchen nicht wäre, was es ist.“ (Hrsg. Christoph Kloft im Vorwort)

Als „Leitfigur“ durch die deutsche Ausgabe der Märchensammlung hat der Herausgeber „Espen Askeladd“ erkoren, welcher in den norwegischen Märchen des Öfteren auftaucht. Als jüngster von drei Brüdern wird er von seiner Umgebung stets ein wenig verachtet, weiß sich jedoch durch Schläue zu behaupten – ein etwas fauler, aber durchaus sympathischer Tagedieb; seine Listigkeit verhilft ihm zu so manchem Glück. Für die deutsche Fassung wandelte man seinen Namen in „Aschenbengel“ um.

Das Buch ist in zwei Abschnitte gegliedert: Im ersten Teil werden uns neben Espen Aschenbengel typisch norwegische Märchenfiguren vorgestellt, bevor dann im zweiten Teil die Trolle auf den Plan treten – archaische Wesen, bedrohlich, aber auch etwas tumb, meist im Berg lebend, aber auch in der Außenwelt anzutreffen. Versäumen sie jedoch, sich vor den Strahlen der Sonne zu schützen, verwandeln sie sich in Steine. (Deshalb kann man auch mit etwas Phantasie Trollgesichter und -körper an norwegischen Bergen, Klippen und Felsen erblicken.)

Die Illustrationen im hier besprochenen Buch sind bereits in den norwegischen Originalausgaben der Märchen zu finden: Otto Sinding, Theodor Kittelsen, Erik Werenskiold, Eilif Pettersen, von denen Theodor Kittelsen als DER Trollzeichner überhaupt große Bekanntheit im nordischen Raum erlangte.

Der kongenialen Übertragung ins Deutsche liegen die Ausgaben der norwegischen Volksmärchen der norwegischen Buchklubs von 1982 und 1983 zugrunde. (Peter Christen Asbjørnse, Jørgen Moe: Samlede eventyr. Første bind. Den norske Bokklubben 1982; dies.: Samlede eventyr. Annet bind. Den norske Bokklubben 1983)

Åse Birkenheier erblickte 1944 in Tresfjord an der norwegischen Westküste das Licht der Welt; nach ihrem Studium und der beruflichen Tätigkeit als Lehrerin für Deutsch und Englisch sowie als Dozentin für Norwegisch arbeitet sie seit Beginn der 1990er Jahre als Übersetzerin, u. a. für Karin Fossum und Johannes Heggland. Seit 1984 ist sie Mitglied der Deutsch-Norwegischen Gesellschaft e. V., Bonn.

Christoph Kloft, der Herausgeber dieses Bandes, wurde 1962 in Limburg a. d. Lahn geboren. Er studierte in Mainz, Gießen und Koblenz Germanistik, Allgemeine Sprachwissenschaft, Komparatistik und Katholische Theologie. Ab 1992 arbeitete er als Redakteur bei der Thüringer Allgemeinen Zeitung und ist seit 1998 als freiberuflicher Schriftsteller und Autor tätig. Christoph Kloft ist Mitglied im rheinland-pfälzischen Schriftstellerverband und im Literaturwerk Rheinland-Pfalz-Saar.

Der Band sei allen Lesern empfohlen, die in die Welt der norwegischen Märchen eintauchen möchten. Wer die Bekanntschaft mit eigenartigen Wesen sucht und sich nicht von der Schilderung zuweilen derber Geschehnisse abschrecken lässt, dem sei diese Sammlung ans Herz gelegt. Ein liebevoll gestaltetes Buch mit viel norwegischer Volksseele.

In unserem Audio-Special hört Ihr das Märchen „Wie Espen Aschenbengel mit dem Troll um die Wette aß“.

Ein Beitrag von Isabel Bendt



Literaturhinweis:

Mit Espen Aschenbengel im Land der Trolle. 30 norwegische Volksmärchen von Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe, in neuer Übersetzung von Åse Birkenheier. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Christoph Kloft. Leipzig, Edition Hamouda, 2013.


 © Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V. 

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