Die Magie der blauen Blume: Novalis – Ein Essay Teil 2

„Christus und Sophie“

Hätte das Schicksal Friedrich von Hardenberg beim Wort genommen, vielleicht wäre aus ihm in den engen Kreisen von Amtsstube, Ehebett und Kinderzimmer ein begabter Poet geworden, aber nie der Dichter Novalis. Das gespenstische Schicksal, das es ganz anders wollte, die Tuberkulose, machte Küsse, die Zeichen verwandtschaftlicher und erotischer Liebe, zum Verhängnis: Sie übertragen die Keime am leichtesten. Die Verlobten trugen die Krankheit aber wohl beide schon in sich, als sie ihren ersten Kuss tauschten. Hardenbergs Geschwister, die Schwestern Caroline, Sidonie, Auguste und die jüngeren Brüder Carl, Erasmus und Bernhard sind alle früh gestorben. Nur die Eltern überlebten diese Kinder, nur Anton überschritt die Vierzig. Meist war die „Schwindsucht“ neben den Blattern, die Vater Hardenberg die erste Frau genommen hatten, eine Familienseuche.

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Die Magie der blauen Blume: Novalis – Ein Essay Teil 1

Friedrich von Hardenberg war ein zwanzigjähriger liebeshungriger Student, als der greise Giacomo Casanova auf Schloss Dux seine Memoiren schrieb. Novalis nannte er sich erst in dem Jahr, in dem der legendäre Liebhaber starb. Der Dichter Novalis war zwar noch jung, aber kaum noch von dieser Welt, als er ein großer Liebhaber wurde. Sein Werk eröffnet eine Kunstrichtung, die bald den Namen Romantik auf sich zieht und in Abwandlungen fast ein Jahrhundert lang in der Literatur, der Malerei und der Musik weiterwirkt. Novalis galt Hermann Hesse und anderen als der eigentliche Romantiker. Seine „blaue Blume“ ist ein Treibhausgewächs der Kunst und wurde zu einem vielzitierten, wenig verstandenen, oberflächlich bis schwärmerisch missdeuteten Symbol.

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Beatrice oder Die verklärte Herrin

Ein Gruß

Diese Liebesgeschichte beginnt so einfach, dass mancher, der über Dante schrieb, sie als unglaubwürdig und romanhaft bezweifelte oder ganz verwarf. Warme Frühlingssonne erleuchtet die Hügel der Toskana und die Gassen und Gärten der Stadt am Arno. Florenz ist schon eine der größten europäischen Städte dieser Zeit. Noch überragen nicht die weit ausladend gewölbte Kuppel Brunelleschis und der marmorweiße Campanile Giottos die ziegelroten Dächer. Sondern die düsteren, schmucklosen Wohntürme der untereinander vielfach zerstrittenen Adelsgeschlechter werfen, wie es heute nur noch in San Gimignano zu sehen ist, ihre Schatten auf ärmlichere Quartiere. Es ist der 1. Mai des Jahres 1274. Der begüterte Kaufmann Folco Portinari gibt in seinem Garten mit Musik, Wein und Speisen ein Blütenfest. Eingeladen sind Geschäftsleute und Nachbarn, unter ihnen auch die zum niederen Adel gehörende Familie Alighieri. Ihr Sohn Dante, noch nicht ganz neun Jahre alt, erblickt zwischen den spielenden Kindern Bice, die Tochter des Hauses. Das rote Kleid leuchtet im frischen Grün des sprießenden Laubes. Sie steht, bezeugt der Dichter später, „im Beginn ihres neunten Lebensjahres“.

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