Mythisch Wandern: Wo geht’s denn hier zur Hölle bitte?

Wir verdanken der Literatur einige einprägsame Zitate, die jenen Ort bezeichnen, welcher bei den monotheistischen Religionen zumeist für die Finsternis (und die Pein) steht; das Christentum nennt diese Stätte Hölle, der Islam kennt sie als Dschahannam, bei den Juden wird sie Scheol genannt – im Gegensatz zu Islam und Christentum versammeln sich hier aber nicht allein die Sünder, sondern sowohl die Seelen der Gerechten als auch der Ungerechten.

Folgend eine kleine infernalische Textauswahl. Religiös: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe den Schlüssel des Todes und der Hölle.“ (Offenbarung 1, 18) Theatralisch: „Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier“ (William Shakespeare). Rebellisch: „Besser ist’s, der Hölle Herr zu sein, als des Himmels Sklave“ (John Milton). Realistisch: „Der Mensch bringt sich selber in die Hölle, nicht der Herr“ (Emanuel Swedenborg). Satirisch: „Die klimatischen Bedingungen in der Hölle sind sicherlich unerfreulich, aber die Gesellschaft dort wäre von Interesse“ (Oscar Wilde). Familiär: „Peg, wenn wir in der Hölle wären, säßest du auf dem Thorn und die Teufel würden packen!“ (Al Bundy)

Mahnend und poetisch liest sich das Ganze beim römischen Dichter Vergil im 6. Buch seiner Dichtung Aeneis: „Tag und Nacht steht offen das Tor zum finsteren Pluto. Aber den Schritt zurück zu den himmlischen Lüften zu wenden, Das ist die schwierigste Kunst“. Nun ist das mit dem Zurückwenden so eine Sache, man denke hier an den Mythos vom Sänger Orpheus, der seine Liebste, Eurydike, zwar aus der Unterwelt zurück zu den Lebenden führen durfte, dabei jedoch der Verführung (oder der Sorge) erlag, sich nach ihr umzuwenden. Mit bekannt fatalen Konsequenzen (Eurydike verschwand für immer im Reich der Finsternis) und ohne Happy End.

Also generell Vorsicht, was den (Zurück-) Blick über die Schultern betrifft? Beim Durchqueren des Höllengrunds in der Vorderen Sächsischen Schweiz besteht hierbei keine Gefahr. Im Gegenteil: Umdrehen, sich im Kreis drehen, Schauen, Lauschen, Durchatmen sind ausdrücklich erwünscht! Unerschrockene Wanderer haben gar die Wahl der Qual, sich je nach Route zwischen zwei (fiktiven) Höllentoren entscheiden zu können. Höllentor Nr. 1 liegt eingebettet zwischen Felsen, wenn man, ausgehend von der Stadt Wehlen, den Wehlgrund erfolgreich durchschritten hat, um schließlich den Wettinweg in Richtung Bastei einzuschlagen. Ohne den geheimen Einflüsterungen aus Diebeskeller und der Teufelsküche (erreichbar über einen weiteren Abzweig) nachzugeben, muss man sich bald darauf entscheiden: links in den Zscherregrund abbiegen und der großen Basteirunde folgen oder rechtsseitig über den Höllengrund abkürzen. Ein wenig erinnert mich dieses gedankliche Münzwerfen an den Naumburger Dom, wo ein Geländer von Heinrich Apel den Aufstieg ins Paradies zeigt und der sogenannte Quereinsteiger versucht, jenen Teil der Strecke zu umgehen, wo die Schlange (im wahrsten Sinne des Wortes vom Teufel geritten) darauf lauert, sich an cleveren und weniger cleveren Sündern zu laben. Die aus dem Boden ragenden Steine, die den Weg in und auch durch den Höllengrund weisen, warnen zumindest bereits vorab: hier ist Trittsicherheit gefragt.

Das (fiktive) Höllentor Nr. 2 wartet weiter oberhalb, wenn man von der Bastei kommend den Steinernen Tisch (ein Rastplatz, den August der Starke für seine Jagdgesellschaft anlegen ließ) passiert hat und allmählich den Abstieg in Richtung der Stadt Wehlen einschlagen möchte (auch hier führen bekanntlich viele Wege zum Ziel und die Hölle ist nur einer davon). Der anfangs mit Steinen gepflasterte Weg scheint beschaulich und ohne Schwierigkeiten, und genau darin liegt die verrückte Tücke, denn was auf den ersten Blick harmlos erscheint und einen Hauch Zivilisation vortäuscht, wartet bald darauf mit Unebenheiten, Matschlachen, wild wuchernden Baumwurzeln etc. auf. Lasst also alle Hoffnung fahren, wie der italienische Dichter Dante Alighieri es dem literarisch bekanntesten Höllentor eingeschrieben hat? Glaubt man dem Philosophen und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick, handelt es sich bei dieser Zeile ohnehin um einen Fehler. „Aus einer absolut glaubwürdigen Quelle weiß ich, daß Dante hier einen Fehler beging. Er hatte seine Reisenotizen durcheinandergebracht. Die […] erwähnten Worte stehen nicht am Eingang zur Hölle, sondern am Eingang zum Paradies. Ins Paradies tritt ein, der jede Hoffnung aufgegeben hat.“ (Watzlawick, S. 47)

Die Bedeutung von Hölle leitet sich ab vom Gotischen „halja“, Althochdeutsch „hellia“ oder „hella“, was im Allgemeinen einen unterirdischen Aufenthaltsraum für die Toten meint. Keinesfalls, so das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, wird damit aber ein „Qualort“ assoziiert. Vielmehr bezeichnete der Begriff das gesamte Totenreich. Erst im „13. Jahrhundert hat sich für Hölle die heute allein übriggebliebene Bedeutung festgesetzt: Aufenthalt der Verdammten“. (Handwörterbuch Bd.4, Sp. 184f.) Die Vorstellung, dass an einem unterirdischen Ort drakonische Strafen praktiziert werden, ist vornehmlich im Zuge der Christianisierung in Gebrauch aufgekommen; für Theologen und Prediger war die Hölle samt der dort zu erwartenden Martyrien nur allzu real. Man nehmen beispielsweise das Feuer. „Die Feuerqual findet sich in mannigfacher Weise ausgemalt. Die Verdammten werden in der Höllenküche gebraten und dann von den Teufeln gefressen.“ (Ebd, Sp. 209)

Am schaurig-schönsten hat dieses Bild der bereits erwähnte Dichter Dante in seinem „Inferno“, dem ersten Teil seiner Göttlichen Komödie, sowohl fantastisch als auch realistisch, plastisch und erschreckend pragmatisch ausgemalt; wiewohl die alten Ägypter an unterweltlicher Grausamkeit der mittelalterlichen Jenseitsfolterei in nichts nachstanden, wie in überlieferten „Unterweltsbüchern“ des Neuen Reiches (ca. 1551 – 1070 v. Chr.) ausgeführt ist. Anstatt im ewigen Leben zu schwelgen, muss in der ägyptischen Hölle u. a. auf dem Kopf gegangen und der eigene Kot geschluckt werden. Zudem kann man seiner Sinne beraubt werden, getreu dem Motto: „Böses haben sie getan, Böses wird ihnen zuteil“. (Vgl. Hornung, S. 8 u. S. 10) Nicht ganz ohne sind auch die Blutstrafen, wobei abgetrennte Köpfe hier noch das Harmloseste sind, vielmehr ist gegen den Leib von „schlachten, niedermetzeln, zerstückeln“ bis hin zu Köpfe zu Brei machen, Gliedmaßen abtrennen oder Fleisch von den Knochen schneiden die Rede. (Ebd. S. 19) Sogenannte „Blutschlürfer“ tun sich zudem nicht nur am Lebenssaft gütlich, sie fressen auch Herz und Leber. (Ebd. S. 20) Von daher Vorsicht vor Quellen, Weihern oder Vulkanen, denn dort wurden am ehesten die Eingänge zur Hölle vermutet. In einem altenglischen Dialog zwischen dem israelitischen König Salomon und dem Gott Saturn ist die Sonne übrigens deswegen am Abend so rot, weil sie zur Hölle blickt. (Vgl. hier Handwörterbuch, Sp. 224, zur Quelle Anm. 204)

Wie gut, dass der oberirdische Höllengrund bei Wehlen statt immerwährender Düsterkeit mit einer Landschaft à la Tolkiens Mittelerde aufwartet und man sich nicht wirklich wundern würde, wenn unversehens ein Zwerg oder ein Elb zwischen Stein und Farn auftaucht oder der Erdgeist sein verschlafenes Gesicht direkt aus dem verklüfteten Boden streckt. Bocksbeinig-verrußte Wesen oder Schwefelgestank? Gar so dramatisch muss es nicht sein. Dass der Frühnebel dennoch die eine oder andere dunstige Täuschung zu erzeugen vermag, ist allerdings nicht völlig ausgeschlossen. Ansonsten verhält es sich mit der grünen Märchenhölle ähnlich wie mit der Hölle von Quedlinburg: Es wird nicht gar so höllisch gekocht wie gegessen.

Verirrt man sich in die Quedlinburger Unterwelt, findet man sich in einem Straßenzug wieder, der mit so einigem Kuriosen aufwartet, inkl. einem Höllenhof, der es sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe geschafft hat. Auf dessen Namensschild lehnt ein etwas mitgenommen wirkender Rabe, der Hof selbst stammt aus dem 13. Jahrhundert. Laut Stadtführer verlor einst die Verlobte des Hausbesitzers ihren Verlobungsring. Aus Gram soll sie sich daraufhin mit einigen Flaschen Portwein die Zeit vertrieben haben. Der Ring wurde indes von einem Raben gefunden, der in die Stube der unglücklichen Frau flog und aus Neugier über den Wein den Ring in das Weinglas fallen ließ. Dort fand ihn die Dame am nächsten Morgen und bedachte den Raben fortan als Dank tagtäglich mit einer Flasche Wein. Himmel oder Hölle? Immerhin steht der Höllenhof im rechten Winkel nach Osten und begrüßte früher die Marktbesucher und fahrenden Händler mit allmorgendlicher Lichtbegleitung; aus dieser „Helle“ wurde aufgrund von vokalischen Ausspracheherausforderungen schließlich die „Hölle“.

Auch dem Dokumentarfilmer und Autor Rüdiger Sünner ist die „Hölle“ mitsamt ihren Bewohnern vielfach begegnet, u. a. in Namen von unheimlichen Schluchten wie „Grüne Hölle“ oder „Teufelsloch“, welche „die Dämonisierungspraktiken der Kirche“ widerspiegeln. In seinem Buch „Das Wilde Denken“ heißt es hierzu: „Die ursprünglich kraftspendenden Naturorte wurden über Jahrhunderte mit abschreckenden Namen versehen, um die Menschen davon abzuhalten, dorthin zu pilgern und Rituale abzuhalten.“ (Sünner, S. 156 f.)

Sollte sich während des Wanderns also ein schwerer Rücken oder bleierne Müdigkeit einstellen, mag das mehr einem schlecht sitzenden Rucksack geschuldet sein oder an fehlendem Koffein liegen, als dass man es teuflischen Wesen wie etwa dem Aufhocker in die Schuhe schieben könnte. Dieser soll früher Wanderern, die bestimmte Orte oder Wälder durchquerten, auf den Rücken gesprungen sein, um ihnen Schritt für Schritt die Energie bzw. das Leben auszusaugen. Eine weibliche Variante ist einer sächsischen Sage zufolge im sogenannten Masseneiwald nördlich von Stolpen ansässig gewesen. (Berühmt-berüchtigt ist die dortige Burg vor allem als Langzeitgefängnis der Gräfin Cosel, Mätresse von König August dem Starken.) „Drei Männer kamen von Seeligstadt und trugen große Hocken. Als sie an die Spukstelle kamen, dort, wo die schönsten Himbeeren und Brombeeren der Gegend wachsen, rief einer: ‚Bornmatzin, hock auf!‘ Gleich darauf kam das riesige Weib auf seinen Buckel gesprungen, gab ihm eine Ohrfeige rechts und links und zerkratzte ihn.“ (Sagen, S. 40)

Solcherlei Vorkommnisse sind im Höllengrund zwischen Wehlen und Bastei allerdings nicht bekannt, zumindest wurden sie (bisher) nicht dokumentiert. Auch über verschwundene Touristen findet sich keinerlei Schlagzeile. Vorsicht sei allerdings beim allzu exzessiven Schnaufen geboten, zumindest wenn man einem koptischen Text aus dem christlichen Ägypten Glauben schenkt. Demnach warf ein Cherub [den Teufel] hinunter auf die Erde. „In diesem Augenblick schnaufte er aus seiner Nase. [Gott] verlor die Fassung auf seinem Thron und das ganze englische Heer [Heer der Engel] weinte.“ (Müller, S. 15 f.)

Kein Grund zur Sorge: Mit Taschentüchern und ein wenig Wagemut können sich Wanderer auch heute noch von der „Hölle“ inspirieren und/oder verzaubern lassen. Besonders in der Sächsischen Schweiz. Vielleicht ist das dämonische Personal hier auch deswegen so umgangsfreundlich, weil es anderenorts bessere Beute macht. So zum Beispiel in der Stadt Pirna, wo u. a. folgende Geschichte überliefert ist: „Wenn ein Mensch vom Teufel besessen ist, muss der Pfarrer kommen und ihn bannen. Ein vornehmer Student zu Pirna hat den Teufel in sich gehabt, aber der Pfarrer hat nichts ausrichten können. Der Student wohnte nämlich in Hanns Nackens Gasthof und in dieser Stube hatte sich der Scholastiker Scotus aufgehalten, Adelsleute hatten dort weidlich gesoffen und geflucht, drum war alles vergebens. Da wurde der Besessene in einer frommen Witwe Haus gebracht. Dort gelang es dem Pfarrer gleich, den Teufel herauszukriegen. Er war ausgefahren als ein feuriges Gerstenkörnlein.“ (Sagen, S. 63)

Fortsetzung folgt …

Ein Beitrag von Dr. Constance Timm


Wanderempfehlung Höllengrund: ab Bastei über Steinernen Tisch nach Wehlen, Dauer ca. 2 Stunden, Strecke ca. 2,7 km, leichte Wanderung


Literaturhinweise:

Buch über die Einsetzung des Erzengels Michael. Hrsg. u. übersetzt von Detlef G. Mueller. Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium, 226, Peeters: Leuven, 1962.

Erik Hornung. Ägyptische Höllenvorstellungen. Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse. Bd. 59. Heft 3. Akademie Verlag: Berlin 1968.

Gundula Hubrich-Messow. Sagen und Märchen aus der Sächsischen Schweiz. 2. Aufl Husum Druck- und Verlagsgesellschaft: Husum 2024. 

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd.4. Hrsg. v. Hanns Bächthold-Stäubli u. Eduard Hoffmann-Krayer. Walter de Gruyter: Berlin/New York 1987.

Paul Watzlawick. Vom Unsinn des Sinns oder Vom Sinn des Unsinns. 13. Aufl. Piper: München 2022.

Rüdiger Sünner. Das Wilde Denken. Europa im Dialog mit spirituellen Kulturen der Welt. Europa Verlag: Zürich 2020.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V. 

3 Antworten auf „Mythisch Wandern: Wo geht’s denn hier zur Hölle bitte?“

  1. Großartig recherchiert und imaginativ verwebt. Daumen!

    (Meine Lieblingsroute in der S. Schweiz ist übrigens die wilde Hölle, die zum Carolafelsen führt. Ein angenehmer Höllenritt)

  2. Die Hölle ist keine Erfindung der Religionen Judentum, Christentum und Islam. Die gab es bereits in den Mythologien der Antike. In der griechischen Mythologie beispielsweise heißt die Hölle Tartaros (lateinisch Tartarus) und wurde von Gaia im Rahmen vom Schöpfungsmythos erschaffen. Gaia konnte sich da kaum in die Höhe entwickeln, weil Uranos noch ziemlich platt (ähnlich einem Pfannkuchen) auf ihr lag. Der Gaia blieb kaum etwas anderes übrig, als sich zunächst überwiegend in die Tiefe zu entwickeln. So kam es, dass Gaia die Hölle erschuf.

    Die griechische Mythologie wurde für die späteren Autoren wahrscheinlich eher unpraktisch, weil dort nur ausgezeichnete Helden / Heldinnen in das Paradies (Elysion) gelangen können. Normal-Sterbliche können dort nur in den Hades oder eine deutliche Etage tiefer in die Hölle zu kommen. Besser aufgehoben ist man als Toter natürlich im Hades. Diese Hölle ist schon eine krass fiese Angelegenheit. Das wurde im Rahmen vom Christentum und Islam etwas schöner gemacht: Da konnten dann plötzlich auch Normal-Sterbliche ins Paradies gelangen. Der Hades (Jenseits für gewöhnliche Tote) wurde aus der Unterwelt in den Himmel („Paradies“) ausgelagert. Die Hölle (Tartaros) wurde beibehalten ->

    https://www.mythologie-antike.com/t79-tartaros-tartarus-gott-der-ersten-stunde-personifiziert-den-strafort-holle

  3. Da ich in Dresden aufgewachsen bin und natürlich die Sächsische Schwiz, Wehlen und Pirna gut kenne, hat mich der Beitrag über „Höllen“ sehr gut unterhalten
    Danke, Frau Dr. Timm 💐
    freue mich auf die Fortsetzung.
    Bettina Fleischer

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