Ein harmlos dreinschauender Pfad. Bäume. Sträucher. Moos. Vogelzwitschern. Sonnenschein. Und plötzlich ein Durchgang. Treppen. Und man ist umgeben von Fels. Tief durchatmen. Das Licht verfängt sich in grünen Blättern, und dazwischen tanzen Insekten und Blütenstaub Ringelreihen wie Elfen. Oder ist es der getarnte Atem nächtlicher Geisterexzesse, der verirrte Wanderer mit verträumter Unschuld täuscht? Alles scheint möglich in der Teufelskammer. Alles?
Eines muss man dem berühmt-berüchtigten Herrn der Unterwelt lassen. Bei der Wahl seiner irdischen Lagerplätze beweist er durchaus Geschmack. Mitsamt der dazugehörigen Teufelsschlucht ist die Teufelskammer Teil eines Rundwanderwegs in der Vorderen Sächsischen Schweiz. Auf dem Weg von der Stadt Wehlen in Richtung Uttewalder Grund, der seine ganz eigene teuflische Geschichte besitzt, kann man sich abseits des Hauptpfades und ein wenig versteckt (un-)finster verführen lassen; Trittsicherheit, Abenteuerlust und die Bereitschaft, durch den einen oder anderen Stein und Tunnel zu kriechen, vorausgesetzt.



Am besten beginnt man mit der Wanderung am frühen Vormittag und (wegen der teilweise recht steilen, steinigen und bisweilen geländerlosen Stufen) bei trockenem Wetter; natürlich auch, um nicht doch versehentlich den einen oder anderen Geist auf Schlafentzug herbeizulocken oder der Fantasie an wüste Waldgestalten zu frönen. Licht ist gut, Dunkel ist schlecht. So schrieb es schon Mani (216-276), der Begründer des Manichäismus, einer sehr stark von der Gnosis (Altgriechisch gnō̂sis > [Er-]Kenntnis bzw. Wissen) beeinflussten Offenbarungsreligion, „deren rasche Verbreitung eine Zeitlang fast das Christentum verdrängte“. [Mani] „verfocht einen radikalen Dualismus, einen unvereinbaren Gegensatz zwischen Licht und Finsternis, Geist und Materie, Gott und Teufel; ein Gegensatz“, so der Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick, „der nur durch den absoluten Sieg des Guten gelöst werden kann.“ (Watzlawick, S. 31f.)
Doch was ist mit den absichtlich-unabsichtliche Grauzonen in der ewigen Fehde von Schwarz und Weiß? Sie lassen sich u. a. in den verschiedenen Verwitterungsstufen des Sandsteins finden, durchbrochen von Blattgrün, Moos und dem Bunt blühender Sträucher, Kräuter und erdigem Wegesbraun. Bereits der Weg bis zum Teufels-Wegweiser, an dem man sich nicht nur sprichwörtlich entscheiden muss, ob man den Gang durch die diabolische Schlucht wagt oder es gleich in der Kammer (des Schreckens, ohne Dante’sche Folterinstrumente) hinter sich bringt, gleicht einem aus der Zeit gefallenen Wandeln durch ein real-surreales Märchenreich. Sogar ein Lächeln auf den Lippen fällt nicht schwer – fast schon magisch bedenkt man, wie wenig einem oft im trögen Alltagstrott nach Lachen nicht zumute ist. Umberto Ecos Der Name der Rose zufolge steckt im Lachen ja durchaus etwas dämonisch Unheilvolles. Zum Glück spielt das im Teufelsgrund der Sächsischen Schweiz keine Rolle. Immer hereinspaziert. Und so habe ich mich denn auf meinem ureigenen Unterwegsrundgang für den Marschbeginn durch Beelzebubs Kammer entschieden, allerdings nicht ohne ein kurzes Erschrecken, als plötzlich vor mir eine Frau auf dem Weg auftaucht, die meine Wandersinne ausgeblendet haben müssen; zumindest war sie von einem Moment auf den nächsten einfach da wie aus den Bäumen materialisiert, allein, freundlich grüßend und dennoch seltsam befremdlich für kaum zehn Uhr morgens, wenn man noch nicht mit Begegnungen rechnet. Ein satanisches Omen? Nein. Statt Schwefelgestank gibt es Waldluft. Statt finsterer Gruften sonnenbeschienenen Stein. Einzig vom kühlen Windhauch in der Teufelskammer sollte man sich nicht verunsichern lassen. Ein Willkommenspakt, der sich leicht mit Schweiß auslösen lässt. Blut ist nicht (mehr) erforderlich.



Einer der berühmtesten Teufelsbünde ist jener zwischen dem Herrn der Hölle und Johann Georg Faust, bekannt vor allem durch Goethes zweiteiliges literarisches Drama. „Im Austausch für Erkenntnis verspricht der mit den Grenzen seines eigenen Wissens hadernde Doktor […] dem sich in Gestalt eines Pudels offenbarten Mephisto seine Seele.“ (Timm, S. 70) Inmitten von Wald, Weg und Stein hege ich derweil meine Zweifel am unersättlichen Wissensdurst. Natur braucht ihre Geheimnisse. Und wir Menschen brauchen Geheimnisse, um zu wissen, dass wir Menschen sind. So ist denn auch der „Teufel“ nicht einfach nur der „Teufel“. Dies zeigt sich schon an seinen Namen. „Bekannt ist er als Satan/Diabolos, Verleumder oder Widersacher, als Luzifer, Lichtträger, als Belial, Asmodeus oder eben Mephistopheles. In der apokalyptischen Literatur des Mittelalters sowie später im 17. Jahrhundert in John Miltons Das verlorene Paradies treten Satan, Luzifer und Belials auch als unabhängige Charaktere auf. Im Volksglauben erhält der Teufel oft einen Spitznamen wie Old Nick oder der Junker mit dem Pferdefuß, weil sich mit dem Aussprechen seines Namens die Vorstellung verband, ihn versehentlich herbeizurufen.“ (Timm, S. 60 ) Ein Versehen, dem ich auf dem Teufelsrundweg aller Neugier zum Trotz nicht anheim gefallen bin. Dafür kam mir der Gedanke, woher die Bezeichnung „Beelzebub“, die ebenfalls gelegentlich für den Fürsten der Finsternis verwendet hat, ursprünglich stammt. Und siehe da „Belzebub“ oder auch „Beelzebock“ hat zwar dämonische Wurzeln, wurde allerdings erst mit dem Einzug des Christentums als Teufelsname gebraucht.
Die wortwörtliche Bedeutung lautet „Herr der Fliegen“. Laut der Hebräischen Bibel (Tanach) handelte es sich um den Stadtgott der Philistermetropole Ekron, wobei „Baal Zebub“ (zabal > düngen, daher Beelzebul > „Herr des Misthaufens“) höchstwahrscheinlich eine Verballhornung von „Baal Zebul“ (erhabener Herr) darstellt, um den heidnischen Gott „Baal“ (übersetzt: „Herr“, „Meister“, „König“, „Gott“ – die Bezeichnung konnte als Titel für verschiedene Gottheiten gebraucht werden) abzuwerten. Als Fliegendämon besitzt „Beelzebub„ allerdings bereits in der älteren zoroastrischen Dämonologie eine Vorlage, hier in Gestalt von „Nasu“, einer weiblichen Dämonin, die in Leichen wohnt und Verwesung und Zerfall symbolisiert. Im Neuen Testament (vornehmlich Markus, Matthäus u. Lukas) fungiert „Beelzebub“ schließlich als Anführer der Dämonen, während sich die Bezüge zum Fliegendämon noch bis ins Mittelalter hinein verfolgen lassen (bedenkt man die hygienischen Zustände vor allem in den Städten, dürfte die Assoziation von Mist, Unrat und Fäkalien mit Krankheiten etc. mit dem Wirken dunkler Mächte nicht schwerfallen).
Der schweizerisch-amerikanische Maler und Schriftsteller Kurt Seligmann schreibt hierzu in seinem Werk „Das Weltreich der Magie“, durch das Anschauen von Beelzebub seien weitere Fliegendämonen entstanden, u. a. jener, der angeblich den Langobardenkönig Cunincpert (nach 650 -700) gestochen haben soll, als dieser im Begriff war, sich mit Vertrauten zu beraten, wie er zwei Edelleute, die an einem Aufstand gegen den König mitgewirkt hatten, umbringen könnte. Der Geschichtsschreiber Paulus Diaconus überliefert die Geschichte ohne den Stich. Das Tier hätte am Fenster gesessen und Cunincpert habe versucht, sie mit einem Messer zu töten, ihr allerdings nur ein Bein abgetrennt. Ausgerechnet ein Einbeiniger soll die beiden Unruhestifter denn auch vor ihrem nahenden Ende gewarnt haben, worauf der König schließlich annahm, es müsse sich beim Verräter um eben jene Fliege gehandelt haben, die ein böser Geist gewesen sei. Kurioserweise stellte er die Aufrührer daraufhin unter seinen Schutz. (Paulus Diaconus, VI, 6)
Wie gut, dass sich die Fliegen im Teufelsgrund recht arglos verhalten. Der Herr der Finsteris hat sich schon immer recht gut als Projektionsfläche für Ängste und bedrohliche Ereignisse wie Naturkatastrophen oder Kriege gedient. Immerhin kann der Satan in allerlei Gestalt daherkommen: als Kröte, Katze, Pferd, Bär, Rabe oder auch als Mensch (mal mit mal ohne Bocksbeine und Pferdehuf). Man konnte/kann ihn fürchten. Oder ihn mit seinen eigenen Listen schlagen, was oftmals recht komisch daher kommt. Eine meiner Lieblingsgeschichten überliefert der im 15. Jahrhundert lebende Kanoniker und Humanist Lorenzo Valla. Hintergrund ist die Herkunft des Antoniusfeuers. So heißt es, dass die Menschen einst an Kälte gelitten hätten, da ihnen das Feuer unbekannt war. Daher suchten sie den heiligen Antonius (der in dieser Geschichte wie ein Prometheus nur eben in Heiligengestalt daherkommt) in der Wüste auf und baten um Hilfe. Dieser sicherte die Unterstützung zu und begab sich alsbald zu den Pforten der Hölle, begleitet von einem Schwein. Doch die Teufel nahmen das Schwein an sich und verwehrten dem Eremiten den Zugang. Allerdings hatten sie nicht mit den Launen des Schweins gerechnet, denn dessen Anwesenheit wurde den Teufel schließlich so unerträglich, dass sie den Heiligen baten, es wieder abzuholen. Auf diese Weise gelangte Antonius in die Hölle, nahm das Schwein und ließ einen Stab Feuer fangen. Und voilá, das Feuer war in der Welt und die Menschen konnten es nutzen. (Vgl. di Nola, S.246)
Inwieweit es im wahrsten Sinne des Wortes in der Legende um den heiligen Udo feurig zuging, der ja den im Teufelsgrund zeitweise residierenden Höllenfürsten gehörig zur Weißglut getrieben hat, ist nicht bekannt. Die entsprechende Teufelsküche befindet sich direkt auf dem Weg zum Uttewalder Felsentor und entpuppt sich als ein höhlenartiger Durchgang, der für heiße Gelage eher weniger dienlich ist, Kindern und Neugierigen aber beim Erkunden durchaus Freude bereitet. Etwas größer ist da schon die in der Teufelsschlucht befindliche Heringshöhle, die im Jahr 1899 vom Wehlener Gustav Hering zugänglich gemacht wurde und auch nach ihm benannt ist. Vor dem ominösen „Eingang“ muss man sich aber auch in diesem Fall nicht fürchten. Beim Abstieg geht es dann allerdings noch einmal über einen Felsen, der zwei Fußabdrückte trägt. Teuflisch oder nicht? Das möge jeder Wanderer nach geglückter Rückkehr selbst entscheiden. Ich für meinen Teil habe ich entschieden, dass ich zurückkehren werde, der Landschaft wegen und der Herausforderung wegen und vielleicht auch ein klein wenig, um Teufel, Mensch und Natur auszusöhnen. Denn vielleicht ist am Ende doch alles ein und dasselbe und gar nicht so finster, wenn man einmal hinter die düstere Fassade blickt. Oder, um es mit den Worten von Mephisto zu sagen: „[Ich bin] ein Teil von jener Kraft, Die stets das Böse will und stets das Gute schafft …“



Fortsetzung folgt …
Ein Beitrag von Dr. Constance Timm
Wanderungempfehlung: ab Stadt Wehlen über den Wehlgrund, Dauer ca. 2 Stunden, Strecke ca. 6,6 km, mittelschwer, gute Grundkondition und Trittsicherheit erforderlich
Literaturhinweise:
Alfonso di Nola. Der Teufel. München 1990.
Constance Timm. Der Teufel. Ein Streifzug ins Reich des Bösen. In: Magier, Teufel, Finsternis. Eine mythische Reise in die Nacht. Edition vulcanus, Leipzig 2015, S. 57-72.
Ludwig Bethmann und Georg Waitz (Hrsg.): Paulus Diaconus. Historia Langobardorum. In: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI-IX. Hahn: Hannover 1878.
Paul Watzlawick. Vom Schlechten des Guten oder Hekates Lösungen. 13. Aufl. Piper: München 2022.
© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie
Wer ist dieser Beelzebub, der im NT der Bibel genannt wird? Der Teufel? Ist er ein Gott? Kann Gott sich wandeln in Gut und Böse, die Pole im Rahmen vom Dualismus ständig wechseln? Kann man in dieser Welt überhaupt monotheistisch denken? Polytheismus macht mehr Sinn. „Der Name Bel wird mit „Herr / König / Gott“ (als Titel) assoziiert. Im Neuen Testament der Bibel ist mehrfach vom Beelzebub (Herr der Fliegen) die Rede. Beelzebub, Bel, Baal und Belos stehen im selben mythologischen Kontext“ ->
https://www.mythologie-antike.com/t134-belos-konig-von-agypten-wird-mit-baal-ubersetzt