Dante – Gedanken zu einem poetischen und historischen Phänomen

“Dies ist kein Märchen. Und es ist auch kein Traum. Sondern eine Lebenswende” [1]

Viel ist in 700 Jahren geschrieben worden über Dante Alighieri (1265-1321), den florentinischen Dichter und Gelehrten, der dem Minnesang in der poetischen Prosa und in den Versen der “Vita Nuova” (Das Neue Leben) huldigt, die Philosophie im Werk “Convivio” (Gastmahl) zu Wort kommen lässt und seine nach dem Vorbild des Aristoteles entworfene Politiktheorie in der “Monarchia” beschreibt. Berühmt und auf seine Weise berüchtigt wurde er indes durch sein Hauptwerk, die “Commedia” (Komödie), heute zumeist unter dem Titel “Divina Commedia” (Die Göttliche Komödie) bekannt, wobei das “Divina” auf eine Anmerkung des Schriftstellers Giovanni Boccaccio (1313-1375) zurückgeht; eine ganz ureigene und zugleich seltsam zeitlose Reise in eine Anderswelt, die wir fürchten und deren wahre Gestalt sich unserer Erkenntnis entzieht. In seiner Dichtung durchmisst Dante das gesamte physische und geistig-seelische Universum des Mittelalters und hat es in einem gewissen Sinne innovativ neu erschaffen. “Niemand verlieh der Verbindung des Schöpfungssystems auf dieser Welt mit demjenigen im Jenseits einen vollkommeneren Ausdruck als Dante. Aus der Hölle steigt man in die intermediäre, zeitlich begrenzte Welt auf. Dort erhebt sich der Purgatoriumsberg zum Himmel, gekrönt vom irdischen Paradies, das nicht mehr in einem verlorenen Winkel des Universums, sondern auf seiner ideologischen Ebene, der Ebene der Unschuld zwischen der höchsten Läuterung im Purgatorio und dem Beginn der Glorifizierung im Himmel, liegt.” [2]

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Dantes Hölle aus der Sicht einer Archäologin

Es ist nicht zu leugnen: Die Göttliche Komödie ist eine herausfordernde Lektüre. In Auszügen hatte ich sie bereits im Laufe meines Studiums gelesen, aber niemals einen Teil vollständig, geschweige denn alle zusammen. Zudem weisen mein Wissen und mein Verständnis, was die vielschichtige mittelalterliche Politik in Europa und die Feinheiten christlicher Symbolik betrifft, deutliche Lücken auf.  Mein Interesse reicht in fernere Zeiten zurück, zu den Monumenten und Hinterlassenschaften der verschiedenen Völker, die lange vor der Zeit der Römer oder der Geburt Christi die Britischen Inseln bewohnten.

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»Dante ist uns fern gerückt« oder Warum es sich (wieder) lohnt, Die Göttliche Komödie zu lesen!

Der italienische Dichter Dante Alighieri (1265-1321) gehört unbestreitbar zu den Großen der Weltliteratur. Seine La Divina Comedia, den meisten in unserem Sprachraum bekannt als Die Göttliche Komödie[1], gilt als Meisterwerk der italienischen Dichtkunst und prägte maßgeblich die Entwicklung der italienischen Sprache. Die darin geschilderte Jenseitsreise Dantes, der in Begleitung des antiken römischen Dichters Vergil das Inferno, das Purgatorio und schließlich mit seiner großen Liebe Beatrice das Paradiso durchwandert, ist zumindest vom Namen her den meisten Menschen ein Begriff.

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Franziska Meier: Dante-Rezeption nach 1800

Die Göttinger Romanistin Franziska Meier legt mit diesem Band die Vorträge einer Ringvorlesung über die Rezeption Dantes vor. Der Ansatz ist komparatistisch und so kann ein großer Teil europäischer Literaturen abgedeckt werden, einschließlich der argentinischen Stimme von Jorge Luis Borges, einem der größten Dante-Verehrer der Moderne. Es ist eine gute Idee, nicht nur Dante-Spezialisten einzuladen, sondern eben Kulturvergleicher und -kenner. Bei einem so breiten Thema wird man immer nur mit Proben rechnen können, Bohrungen an einzelnen Stellen der kulturellen Landschaften.

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Lesen Sie die Commedia, Sie werden es nicht bereuen!

Viele Menschen befinden sich immer noch in der außerordentlichen Situation, gerade wesentlich mehr Zeit zur Verfügung zu haben als sonst. Was also tun? Herumsitzen und sich von schlechter Laune regieren lassen? Keine gute Idee. Falls Sie das Werk noch nicht kennen sollten, hätte ich eine Empfehlung – beschaffen Sie sich Dantes Meisterwerk, die Divina Commedia. Vermutlich sind etliche von Ihnen im Italienischen nicht so gut zuhause, dass Sie das Buch im Original lesen könnten. Dann darf ich Ihnen die Übersetzung von „Philaletes“, dem König Johann von Sachsen, empfehlen, der Mitte des 19. Jahrhunderts eine fulminante Übersetzung geliefert hat, die bis heute Gültigkeit besitzt. Johann versuchte, an Schriften aus der Dante-Zeit heranzukommen, um ein kleines Museum aufzubauen, und er lud in seinem Dresdner Schloss die damaligen Kenner des Werkes zu ersten Gesprächen über die Commedia ein.

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Höllische Venus, paradiesische Erde, wandelbarer Mars. Dantes Jenseitsreiche im Spiegel der vergleichenden Planetologie

Das diesjährige, grosse Dante-Jubiläum – 700 Jahre sind seit dem Tod des Dichters vergangen – fällt in eine sehr turbulente, fast möchte man sagen: „danteske“ Zeit. Viele Errungenschaften der europäischen Aufklärung sind derzeit in Frage gestellt oder schon verloren gegangen; von einem „Rückfall ins Mittelalter“ ist gar die Rede. Das könnte man so sehen, wenn man an die Glaubenskämpfe rund um „Gesundheit“, „Sicherheit“ und „Freiheit“ denkt, wo sich die Menschen scheinbar zwischen einem „ewigem Lockdown“ (Hölle) und einem „ewigem Immunschutz“ durch Impfung (Paradies) zu entscheiden haben. Sollten wir uns da nicht eher auf unsere Vernunftphilosophen besinnen, statt auf einen mittelalterlichen Dichter, der Himmel und Hölle besingt? Einverstanden – nur: Dante ist auch ein Vernunftphilosoph, wenn man unter Vernunft, um F. von Weizsäcker zu folgen, die „Wahrnehmung des Ganzen“ versteht. Diese Vernunft, nicht zu verwechseln mit blosser Ratio und Wissenschaftlichkeit, scheint uns gründlich abhanden gekommen zu sein. Wenn es um „das Ganze“ geht, hat uns Dante einiges zu sagen.

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Landschaften jenseits der Wirklichkeit – Die Commedia und einige Gedanken zur Topografie des Jenseits

er nahm sich an der Göttersitze allesamt. Allumfassende Weisheit besaß er in jeglichen Dingen. Er sah das Geheime und deckte auf das Verhüllte (Gilgamesch-Epos)

Wohin sich Jenseitsreisende auch immer begeben – sei es Hades, Hölle oder Paradies – und auf welchen Wegen sie dahin gelangen, sie verlassen in jedem Fall die Lebenswelt der Menschen, um „das Geheime zu sehen und das Verhüllte aufzudecken“. Jenseitsreisende überschreiten den Fluss, überqueren das Gebirge, erheben sich in die Lüfte so leicht wie ein Hauch und erreichen die höchsten aller Himmel. Sie steigen hinunter in düstere Unterwelten, wagen sich in Schlünde und Grüfte, tauchen zum Meeresgrund, gelangen in die tiefste aller Tiefen und – was normalerweise den Sterblichen verwehrt bleibt – sie kehren wieder zurück, um uns Lebenden Bericht zu erstatten.

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Vergil und Dante oder: Handschlag der Klassiker

Am Karfreitag des Jahres 1300 verirrt sich ein Wanderer in einem furchteinflößend finsteren und dichten Wald, weil er von seinem Weg abgekommen ist. Als er den Waldrand erreicht hat, erblickt er eine Anhöhe, über der gerade die Sonne aufgeht. Er kann sie aber nicht erreichen: Drei wilde Tiere nähern sich ihm bedrohlich, eine Pantherkatze, ein Löwe und eine Wölfin. Der Wanderer weicht erschrocken zurück …

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