Die Volksmärchen ranken sich häufig um entzückende Bräute, die in Pflanzengestalt erscheinen, aus ihr er- oder aus einer Pflanze emporsteigen. Metamorphosen von Mensch zu Pflanze und Pflanze zu Mensch finden sich in den Märchen weniger häufig als Tierverwandlungen, dennoch sind sie weltweit anzutreffen. Pflanzenbraut wie Tierbräutigam sind immer Teil einer Zweierbeziehung zwischen Mann und Frau, in der der menschliche Partner eine aktive Rolle bei der Erlösung und der damit einhergehenden Zurückgewinnung der menschlichen Gestalt einnimmt. Allein in den Begrifflichkeiten Pflanzenbraut und Tierbräutigam stoßen wir auf einen großen, wenn auch nicht ausnahmslosen Unterschied – nämlich, dass Tierverwandlungen in Märchen häufig Männer betreffen, während die Pflanzenverwandlung fast immer das weibliche Geschlecht betrifft. Beispiele wie die Schwanjungfrau oder der in einen Baum verwandelte Jüngling aus Grimms Die Alte im Wald gehören zu den selteneren Ausnahmen. Ein weiterer großer Unterschied zu den Tierbräutigamerzählungen und zugleich Merkmal der Pflanzenverwandlungen im Märchen ist, dass letzteren meist keine Verfluchung, Strafe oder böswillige Verwünschung durch Gegenspieler wie Dämonen, Hexen oder den Teufel vorausgehen.
„Pflanzenbräute und Pflanzenverwandlungen im Zaubermärchen“ weiterlesenBlick ins “Mythoskop”
Es mutet wie ein Blick ins Inneres eines Gehirns an, eine Verflechtung von abertausend Nervenzellen, von denen jede einen eigenen Namen trägt – aber keinen beliebigen Namen. Die Wesen der griechischen Mythologie sind hier versammelt (Götter, Halbgötter, Sterbliche) und warten darauf, von Forschenden und Interessierten gefunden und mitsamt ihren verwandtschaftlichen Beziehungen näher unter unter die Lupe genommen zu werden. Auch Handlungsorte und Geschichtenstränge der mythischen Gestalten lassen sich nachvollziehen – ein Klick genügt. Entscheidet man sich beispielsweise für das Stichwort “Herakles”, wird die schier überwältigende Auswahl schon fundierter und verwandelt sich in eine Pusteblume mit dem Helden als Mittelpunkt. Der gute alte Göttervater Zeus bringt es gar auf ein Gebilde, das mit ein wenig Fantasie Ähnlichkeit mit einem Vogel aufweist, während die Verflechtungen bei Achilles (Stichwort: Achilleus) fast schon karg wie eine Mücke daherkommen.
„Blick ins “Mythoskop”“ weiterlesenSagas aus der Vorzeit – Von Wikingern, Berserkern, Untoten und Trollen: Band III Trollsagas
Zwerge, Drachen, Zauberer und eben auch Trolle nehmen in den Geschichten des dritten Teils der Sagas aus der Vorzeit eine bedeutende Rolle ein. Und er trüge zu Unrecht den Untertitel Trollsagas, wenn diese mythischen Damen (es sind meist weibliche Trolle) nicht eine gewichtige Rolle bei der Erfüllung eines Heldenschicksals in den Sagas einnehmen würden. Ohne die Hilfe von Grid und ihrer Tochter Hild, ohne Brana und Mana, um nur ein paar zu nennen – die Helden der in diesem Band gesammelten Sagas wären ziemlich schnell am Ende ihrer Reise gewesen. Schließlich sind es deren Zauberkünste, Ratschläge und magischen Gegenstände (Schwert, Ring, Umhang), welche den Helden die Bewältigung ihrer Taten endgültig ermöglichen. Ihre Rolle in den Trollsagas ist also eine positive und helfende – von der sehr variablen Attraktivität ganz abgesehen.
„Sagas aus der Vorzeit – Von Wikingern, Berserkern, Untoten und Trollen: Band III Trollsagas“ weiterlesenWeihnachten am Ende der Welt – Ein Weihnachtsmann in Australien
Es war ein Tag, wie ihn Weihnachtsmänner lieben: draußen war es kalt, die Fensterscheiben trugen Eisblumen, der Kamin im Haus verbreitete wohlige Wärme und aus dem Stall hörte man das Schnaufen der Rentiere, die gerade frisches Heu bekommen hatten. Ich saß im Schaukelstuhl, neben mir auf dem Tisch dampfte Glühwein und vor mir lagen die Listen mit den Geschenken, die für die Kinder zusammengestellt und für die Bescherung in Säcke gepackt werden sollten. Alles lief normal und gemütlich – Weihnachten konnte ruhig kommen.
„Weihnachten am Ende der Welt – Ein Weihnachtsmann in Australien“ weiterlesenSagas aus der Vorzeit – Von Wikingern, Berserkern und Untoten: Band II Wikingersagas
Wie so oft in den Geschichten, fängt alles bei einem großen Festgelage in der Hallen eines nordischen Häuptlings an. Die Männer sitzen in Reihen auf langen Bänken an den Tischen, die sich unter der Last der Speisen biegen. Vor Kopf thront der Häuptling im Kreise seiner engsten Vertrauten. Nur jene Krieger, die sich den meisten Ruhm erworben und die wertvollste Beute gemacht haben, erhalten einen Ehrenplatz an seiner Tafel. Mit ihnen plant er zukünftige Raubzüge und berät über politische Entscheidungen. Es geht heiter und vor allem laut zu. Die Männer essen und trinken ausgiebig, es werden Witze erzählt und aus den uns bekannten Trinkhörnern fließt der Met in Strömen. Dann zu späterer Stunde erhebt sich aus ihrer Mitte der Skalde, und die Krieger, mittlerweile recht angeheitert, verfallen zwar nicht in Schweigen, doch immerhin kehrt genug Ruhe ein, dass die meisten im Raum ihn hören können. „Hört meine neueste Dichtung, ruhmreicher Herr!“, beginnt der Skalde und seine dunkle volle Stimme ertönt im Raum. Er ist Isländer und die, das weiß jeder, sind die besten Skalden. „Ich will euch erzählen von den alten Tagen, von ruhmreichen Schlachten und großer Beute. Aus der Zeit, als Island noch nicht besiedelt war“. Als seine Worte langsam verhallen, wird es stiller in der Halle, die Krieger auf den hinteren Bänken recken die metschweren Köpfe und lauschen seinen Worten, als der Skalde beginnt zu singen …
„Sagas aus der Vorzeit – Von Wikingern, Berserkern und Untoten: Band II Wikingersagas“ weiterlesenStephen Fry: Mythos – Was uns die Götter heute sagen
Mythen wollen uns nicht nur unterhalten, sondern auch erklären. Sie beruhen auf den kollektiven Erfahrungen der Menschen und sind ein Ausdruck unseres Bedürfnisses, zu verstehen, nach welchen Gesetzen und Regeln die Welt um uns herum strukturiert ist. Schöpfungsmythen und Göttersagen geben uns Menschen eine Erklärung für die Existenz allen Seins und sind ein Versuch, die Lücken im menschlichen Erfahrungshorizont mit Sinnhaftigkeit zu füllen. Es verwundert daher in keiner Weise, dass jede uns heutzutage bekannte Kultur ihre eigenen Schöpfungsmythen und Götterwelten hervorgebracht hat.
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