Herkules am Scheideweg

Die 12 Taten des Herakles – Teil 1

Nachdem wir bereits den Trunkenen Herkules vorgestellt haben, soll begleitend zu unserer aktuellem Podcast-Folge, in der wir von den Aufgaben des Helden erzählen, ein weiteres Gemälde besprochen werden, welches eine Episode aus dem Leben des Halbgottes Herakles (röm. Herkules) beschreibt: „Herkules am Scheideweg“ von Annibale Carracci, (1596, heute Museo di Capodimonte, Neapel).

Herkules am Scheideweg, (1596, Öl auf Leinwand, 167 x 237 cm, heute Museo di Capodimonte, Neapel)

Der Maler Annibale Carracci (1560-1609) gilt als einer der Begründer der italienischen Barockmalerei. Zusammen mit seinem älteren Bruder Agostino und seinem Onkel Ludovico gründete er 1582 in Bologna die Malerschule Academia degli Incamminati (dt. in etwa: Die Akademie der Aufbrechenden). Die drei Künstler beschritten damit einen neuen Weg; sie wandten sich ab vom damals vorherrschenden Manierismus mit seinen unnatürlichen, gekünstelten Formen und strebten einen neuen, naturalistischen Stil an. 1594 verlegte Annibale seinen Lebensmittelpunkt nach Rom, wo er von Kardinal Odoardo Farnese (1573 -1626) beauftragt wurde, im Palazzo Farnese zunächst das Arbeitszimmer (Camerino) Odoardos und daran anschließend die Galleria auszugestalten.

Herkules am Scheideweg war ein beliebtes Motiv in der griechischen und römischen antiken Dichtkunst. Bereits bei dem griechischen Philosophen Prodikos von Keos (vermutlich zw. 470 und 460 v. Chr. – nach 399 v. Chr.) wird die Geschichte des heranwachsenden Herkules erzählt, der sich zwischen Tugend und Sünde entscheiden muss. Das Sujet inspirierte in der Frühen Neuzeit auch viele Maler, so. z.B.  Johann Liss (1625), Sebastiano Ricci (zw. 1710 u. 1720) und von Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1779). Die Begebenheit von Herkules, der sich zwischen Tugend und Laster entscheiden muss, wird auch in der vorangehenden Folge unseres MYTHO-Cast beschrieben.

Carraccis Gemälde Herkules am Scheideweg ist ein Teil der Deckenfresken des Camerino, wie das Arbeitszimmer des Kardinals Odoardo Farnese auch genannt wurde. Jenes Zimmer befand sich im zweiten Stock des Palazzo Farnese in Rom, welches der Künstler im Auftrag des Kardinals im Frühjahr 1595 ausschmückte. Im Anschluss gestaltete Carracci die die Galeria des Palazzo mit prunkvollen Fresken aus, die Szenen aus der griechisch-römischen Mythologie zeigen. Im Zentrum letztgenannter Fresken steht der Triumphzug des Bacchus und der Ariadne, während an den Seitenwänden Szenen aus Ovids Metamorphosen dargestellt sind.  (Der Palazzo ist seit 1874 Sitz der französischen Botschaft in Rom und beherbergt seit 1875 die École française de Rome.)  Naheliegend ist, dass Fulvio Orsini, der Bibliothekar des Kardinals, das Bilderthema des Raumes vorgeschlagen hat (vgl. Zollinger, S. 56).

Carraccis Gemälde zeigt Herkules vor einem Baum auf einem Felsen sitzend, zwischen zwei Frauen, welche die Verkörperung der Tugend und des Lasters darstellen. Links vom sitzenden Helden steht Virtus, (die Tugend). In Rot und Blau gekleidet und ein Parazonium (ein römischer Dolch, eines ihrer Attribute) in der Hand, weist sie auf den steilen Aufstieg zum Gipfel des Berges über ihr hin, wo man den geflügelten Pegasus sieht, der auch in dem Wappen der Familie Farnese enthalten ist. Das Fabeltier wird den Helden in den Himmel führen, wenn er sich für den ehrenvollen Weg voller Pflichten und Mühen entscheidet. Links unter der Tugend ist ein lorbeergekrönter junger Dichter im Begriff, die zukünftigen Heldentaten des Halbgottes Herkules aufzuschreiben, was dem Heroen unsterblichen Ruhm zusichert. Herkules scheint allerdings ein wenig zur Tugend hinzuschielen, was bereits darauf vorwegnimmt, dass er sich für den mühevollen, aber ruhmreichen Weg entscheiden wird.

Zu Herkules‘ rechter Seite steht Voluptas (lat. für Lust, Vergnügen, Genuss). Nur dürftig verhüllt mit einem dursichtigen Schleier, will sie Herkules auf den Weg der Freuden und des Lasters verleiten. Bei ihr befinden sich auf einer grünen Wiese Spielkarten, Musikinstrumente und Masken; letztere stehen für die Täuschung.

In der Figur des Heroen ist hier wohl Odoardo Farnese selbst dargestellt; dies wird durch die Darstellung des Pegasus am Ende des Pfades der Tugend verdeutlicht (vgl. Zollinger, S. 58). Bereits Odoardos Vorfahre Alessandro Farnese (1468-1549, von 1534 bis zu seinem Tod Papst Paul III.) hatte das Motiv des Pegasus auf dem Parnass als Ausdruck als Förderer der Literatur und schönen Künste für sich beansprucht. Alessandro soll den Verwandten darstellen, dessen Vorbild Odoardo nachzueifern bestrebt war.

Das Gemälde geht kompositorisch auf ein römisches Relief aus augusteischer Zeit zurück, welches wiederum eine Kopie eines griechischen Originals ist und Herkules unter den Hesperiden zeigt, ebenfalls fast nackt in einer sitzende Position und zwischen zwei weiblichen Figuren; auch der Baum und die Masken finden sich hier wieder. (Herkules im Garten der Hesperiden, Rom, Villa Albani). In der Hofloggia des Palazzo Farnese befand sich die Statue des „Römischen Herkules“, von der sich Carracci sicherlich für seine Darstellung des Helden inspirieren ließ. In der Graphischen Sammlung des Frankfurter Städel Museums befindet sich eine Kreidezeichnung Carraccis mit der Rückenansicht jener Statue. (Rückenansicht des Herkules Farnese im Hof des Palazzo Farnese in Rom).

Das Deckengemälde Herkules am Scheideweg in der Mitte des Camerino wird ergänzend flankiert von zwei weiteren Episoden aus dem Leben des Helden: Der Ruhende Herkules zeigt diesen von den Ungeheuern umgeben, die er niedergerungen hat, während Herkules beim Tragen des Erdballs auf eine populäre Deutung der Begegnung von Herkules und Atlas hinweist. Letzterer war hier ein Sternkundiger, der den Halbgott in der Himmelswissenschaft unterwies. In diesen beiden Darstellungen sehen wir beide Varianten, ein sinnhaftes Dasein zu gestalten – kontemplativ (Ruhe) und tätig (den Globus schulternd). Das Thema der Bilder zielt somit darauf ab, Kardinal Odoardo zu würdigen, der als „neuer Herkules“ dargestellt wird, der den Weg der Tugend wählt und ihn sowohl in seiner aktiven und kontemplativen Form praktiziert.

Die Leinwand mit Herkules am Scheideweg wurde in der Mitte der Decke des Camerino angebracht, zwischen den besagten Fresken am Gewölbe. Im Jahr 1662 wurde das Bild entfernt und nach Parma zur herzoglichen Residenz geschickt und das Original durch eine schlechtere Kopie ersetzt, die sich noch vor Ort befindet.

Ein Beitrag von Isabel Bendt


Podcast-Script geschrieben von Sebastian Helm

Gesprochen von Sebastian Helm

Intro und Outro gesprochen von Constance Timm

Musik von Sebastian Helm

Editing von Sebastian Helm


Literaturhinweise:

Martin, John R.: Immagini delle virtú! : The paintings oft he Camerino Farnese in Rom, Art bulletin XXXVIII, 1956, 2, p. 91-112.

Mythos Herkules. Texte von Pindar bis Peter Weiss. Hrsg. Von Mario Leis und Patrick Sourek. Leipzig, Reclam 2005.

Panofsky, Erwin: Herkules am Scheideweg und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst.  Berlin, Gebrüder Mann Verlag, 1997.

Zollinger, Edi: Herkules am Spinnrad. Rubens – Velázquez – Picasso. München: Carl Hanser, 2005.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

Eine Antwort auf „Herkules am Scheideweg“

  1. Was den irdischen Tod des Herakles betrifft, so ist die Erzählung der Deianeira weltberühmt. Der Kentaur Nessos lag im Sterben und hat der Deianeira Misstrauen eingeredet. Schließlich zog sich Herakles das Nessos-Hemd an und dieses löste entsetzliche Schmerzen aus. Herakles entschied dann, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden -> https://www.mythologie-antike.com/t322-deianeira-mythologie-gattin-des-herakles-der-kentaur-nessos-wollte-deianeira-entfuhren

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