Der gefesselte Prometheus

Mit der mythologische Gestalt des Titanen Prometheus verbinden die meisten von uns hauptsächlich drei Aspekte: den Menschenschöpfer, den Feuerbringer und vor allem den drakonisch Bestraften, weil er es gewagt hatte, sich gegen Zeus aufzulehnen.

Begleitend zur ersten Folge des MYTHO-Cast, dem Podcast unseres Vereins, beschäftigt sich dieser Text mit der künstlerischen Darstellungen des gefesselten Titanen – ein beliebtes Motiv vor allem in der Malerei der Barockzeit. Zahlreiche bildende Künstler interpretierten den gepeinigten Prometheus, darunter Gregorio Martínez y Espinosa (Spanien, 1547-1598), Dirck van Baburen (Niederlande, 1595-1624), Jusepe de Ribera (Neapel, 1591-1652), Theodoor Rombouts (Flandern, 1597-1637), Gioacchino Assereto (Italien, 1600-1649), Salvator Rosa (Italien, 1615-1673) und Luca Giordano (Italien, 1634-1705). Zwei prominente Kunstwerke dieses Sujets sollen an dieser Stelle näher vorgestellt werden.

Peter Paul Rubens – „Gefesselter Prometheus“

Der Flame Peter Paul Rubens (1577-1640) war einer der bekanntesten und produktivsten Künstler seiner Zeit und gilt als  Inbegriff des Barockmalers; seine Wirkungsstätte befand sich in Antwerpen. Sein Œuvre umfasst zahlreiche Werke verschiedenster Motive.

Peter Paul Rubens: „Gefesselter Prometheus“, 1611/12, beendet 1618 von Frans Snyders, Philadelphia Museum of Art, Öl auf Leinwand, 242,6 x 209,6 cm

Von diesem Gemälde existierten mehrere Versionen aus Rubens‘ Werkstatt, davon befindet sich neben der in Philadelphia allerdings nur noch eine 1613/14 entstandene Ausführung im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Oldenburg.  

Es handelt sich – zumindest bei der erstgenannten Fassung – um eine Gemeinschaftsarbeit, denn die Ausführung des Adlers übernahm Frans Snyders, ein Zeitgenosse Rubens‘ und wie dieser ebenfalls in Antwerpen tätig. Snyders war berühmt für seine meisterhafte Darstellung u.a. von Jagd- und Tierszenen und arbeitete als einer der ersten spezialisierten Tiermaler regelmäßig mit führenden flämischen Malern zusammen. Das Gemälde von 1611/12 blieb bei Rubens, bis es 1618 der englische Sammler Sir Dudley Carleton erwarb.

Auf Rubens‘ Gemälde finden wir Prometheus kopfunter auf einem Felsen mit blauen und weißen Tüchern liegend, über ihm steht ein Baum. Parallel zu seinem sich windenden Körper hat ein Adler seine mächtigen Schwingen gebreitet. Das Raubtier hat dem Titanen bereits mit seinem Schnabel den Oberkörper aufgehackt und zerrt einen Teil der Leber heraus. Eine Kralle des Tieres bohrt sich in das rechte Auge des Gemarterten, der mit dem linken Auge auf seinen Peiniger schaut. Der muskulöse Körper des Titanen ist diagonal von unten rechts nach links oben ins Bild gesetzt. Die Arme hinter den Kopf gefesselt, ist Prometheus den Attacken des Raubvogels schutzlos ausgeliefert; seine strampelnden Beine, mit denen er versucht, sich zu verteidigen, sind perspektivisch verkürzt wiedergegeben, was Rubens‘ großes künstlerisches Können zeigt. Das Geschehen ist in eine Landschaft mit einem dramatischen Himmel eingebettet; in der linken unteren Bildecke sehen wir eine brennende Fackel, die auf Prometheus als Feuerbringer verweist.

Peter Paul Rubens hat sich motivisch sowohl von der Skulptur der Laokoon-Gruppe – eine der bedeutendsten Darstellung eines Todeskampfes in der bildenden Kunst – inspirieren lassen als auch von Michelangelos Tityos-Darstellungen, die ebenfalls einen durch einen Raubvogel gemarterten Titanen zeigen. (Tityos, ein gewalttätiger Riese, wurde als Strafe für verschiedene Untaten in der Unterwelt von zwei Geiern gepeinigt, die täglich an seiner Leber fraßen, welche sich ebenfalls regelmäßig erneuerte, sodass die Qual endlos andauerte.

Jacob Jordaens – „Der gefesselte Prometheus“

Etwa drei Jahrzehnte nach Rubens schuf der Antwerpener Barockmaler Jacob Jordaens eine Version von der Bestrafung des Titanen, welcher der seines berühmten Kollegen in Aufbau und Konzeption recht ähnlich ist. Jordaens (1593-1678) gilt als einer der wichtigsten flämischen Barockmaler; zusammen mit Peter Paul Rubens und Anthonis van Dyck prägte er die „Antwerpener Schule“ im 17. Jahrhundert.

 Jacob Jordaens, „Der gefesselte Prometheus“, 1642, Wallraff-Richartz- Museum Köln, Öl auf Leinwand, 245 x 178 cm

Ähnlich wie auf Rubens‘ Gemälde liegt Prometheus kopfüber auf einem Felsen, während ein gewaltiger Adler sich an seiner Leber weidet. Auch hier finden wir die diagonale Bildteilung von links oben nach rechts unten durch den Raubvogel sowie die perspektivisch verkürzten Beine des Gequälten. Der Maler hat seine Darstellung jedoch um diverse Bildelemente ergänzt, welche die (Vor)Geschichte des Titanen erwähnen: Die Büste rechts verweist auf seine Rolle als Menschenschöpfer, die brennende Fackel charakterisiert dagegen ihn als Feuerbringer, während der Fellsack mit den Knochen von seinem Opferbetrug erzählt. Jordaens konzentriert sich demnach nicht – wie sein Vorbild Rubens – auf den einzelnen Aspekt der Tortur durch den Adler, sondern deutet weitere Taten und Begebenheiten von und um Prometheus an.

In der rechten oberen Bildecke sehen wir die Gestalt des Hermes, erkennbar an seinem Hut (Petasos) und Hermesstab (Caduceus). Der Götterbote hält einen grünen Zweig in der Hand und scheint das Geschehen interessiert, aber ohne Mitgefühl zu betrachten. Jordaens spielt wohl mit dieser Figur auf eine Begebenheit aus der „Promethie“ des altgriechischen Tragödiendichters Aischylos an, (von der allerdings nur noch der erste Teil des Werkes, „Der Gefesselte Prometheus“ vollständig erhalten ist). In diesem Stück verfügt Prometheus über das sogenannte „Geheimnis der Themis“ – die Prophezeiung, dass Zeus von einem Sohn, den er mit der Meeresnymphe Thetis zeugt, entmachtet wird. Der Göttervater schickt Hermes zum gefesselten Prometheus, um diesem besagtes Geheimnis zu entlocken. Doch Prometheus bleibt standhaft und wird daraufhin vom Göttervater mitsamt Felsen in den Tartaros geschleudert. Die Befreiung des Titanen durch Herakles und ein neuer Bund mit Zeus finden im zweiten und dritten Teil der Tragödie statt, davon sind jedoch nur Fragmente erhalten. Damit steht Jordaens im Gegensatz zu seinem Vorbild Rubens, der sich mit seiner Darstellung an der „Theogonie“ des Griechen Hesiod orientiert, dessen Verarbeitung des Prometheus-Stoffes als die allgemein bekannte angesehen werden kann.

Bei Jordaens ist der Leidende nicht mehr jung, aber immer noch kraftstrotzend. Die Position seines Körpers erinnert an Darstellungen der Kreuzigung Petri – der Apostel wurde mit dem Kopf nach unten gekreuzigt. Mit weit aufgerissenem Mund und hochrotem Gesicht schreit Prometheus seine Qualen und seine Verzweiflung heraus. Die ebenfalls weit aufgerissenen Augen blicken scheinen schreckgeweitet in den Abgrund zu blicken, und in der Tat hat der Betrachter das Gefühl, der Titan droht jeden Moment in die Unterwelt abzustürzen. Auch Jordaens hat sich hier bei der Darstellung des Leidens bei Motiven der Laokoon-Gruppe bedient. (Larsson, S. 135) Der Maler verzichtet jedoch auf die übermäßige Zurschaustellung von Blut; Leiden und Verzweiflung werden hier durch Mimik, Gestik und Anspannung der Muskeln verdeutlicht.

In der Darstellung der Gestalt des Prometheus fand sich die Möglichkeit, das Streben nach Wissen und Eigenständigkeit im Denken und Handeln zu versinnbildlichen. Gleichzeitig sind die Darstellungen im Barock auch als Warnung vor Hybris zu verstehen. Der Titan wird in den Darstellungen des späten 16. und des 17. Jahrhunderts nun zwiespältig beurteilt, anders als in vorangegangenen künstlerischen Epochen. Er wird hier nicht mehr als der allwissende Freund und Schöpfer der Menschen gezeigt sowie als der zu Unrecht Leidende. (z.B. Piero di Cosimos Prometheus-Bilderfolge, 1510/15, Alte Pinakothek München bzw. Musée des Beaux-Arts), sondern als Verkörperung eines Gestürzten bzw. Niedergeworfenen, der sich gegenüber den höheren Mächten zu viel herausgenommen hat. So können die hier vorgestellten Bilder auch als erzieherisches Mittel gedeutet werden, was heißen mag: dem Rebellieren gegen göttliche Anweisungen folgt umgehend die Strafe.

Im Barock geschieht eine Deutungsverschiebung des Prometheus vom Schöpfer, Heils- und Lichtbringer hin zum Sünder, der zu viel wollte und dafür unbarmherzig bestraft wird. Moralische Aspekte werden nun stärker betont als in Renaissance, Mittelalter und Antike. Nicht zuletzt ist die drastische und erschütternde Umsetzung auch der Dramatik geschuldet, der im Barock mehr Raum gegeben wurde. Übersinnliches wird zudem mit einem hohen Maß an naturalistischer Wirkung veranschaulicht. Wir sehen viel mehr Blut und Gewalt in den Darstellungen als in den Jahrhunderten zuvor, worin sich m.E. auch eine „erzieherische“ Absicht erkennen lässt.

In unserer ersten Podcast-Folge möchten wir nun den Mythos um diese Gestalt erzählen. Was war der Grund für die Rebellion des Titanen gegen den Göttervater und aus welchen Grund wurde er von Zeus so hart bestraft? Zudem lassen wir Johann Wolfgang Goethe zu Wort kommen, der uns in seinem gleichnamigen berühmten Gedicht „Prometheus“ im Moment des Aufbegehrens gegen Zeus schildert und uns vor allem die emotionalen Beweggründe des Menschenschöpfers für sein Handeln verdeutlicht.

Ein Beitrag von Isabel Bendt


MYTHO-Cast: Folge 1 – Prometheus


Literaturhinweise:

Aischylos: Der gefesselte Prometheus. Die Schutzsuchenden. Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Walther Kraus, Stuttgart: Reclam 2006.

Brosens, Koenraad: Jordaens und die Antike, [Katalog] anlässlich der Ausstellung Jordaens und die Antike. Brüssel 2012; München: Hirmer 2012.

Büttner, Nils: Peter Paul Rubens. Barocke Leidenschaften, [Katalog zur] Ausstellung im Herzog Anton Ulrich Museum Braunschweig 2004. München: Hirmer 2004.

Hesiod: Theogonie. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Otto Schönberger. Stuttgart: Reclam 2011.

Irsigler, Franziska: Die „Menschwerdung“ des Prometheus in Darstellungen der Bildenden Kunst und literarischen Quellen. München: GRIN Verlag 2005.

Larsson, Lars Olof: Antike Mythen in der Kunst. 100 Meisterwerke. Ditzingen: Reclam 2020.

Storch, Wolfgang; Damerau, Burghard (Hrsg.): Mythos Prometheus. Texte von Hesiod bis René Char. 2. Aufl., Leipzig: Reclam 1998.

Walther, Lutz (Hrsg.): Antike Mythen und ihre Rezeption. Leipzig: Reclam 2003.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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