Jade (Yu) – Der Stein zur Unsterblichkeit

Ein Totengewand für den Herrscher

Totengewand von Kaiser Lui Sheng (1. Jh. v. Chr.), Hubei Museum, China

Mit einigen letzten Handgriffen sind die Vorbereitungen des königlichen Leichnams auf dessen Reise ins Totenreich abgeschlossen. Die Priester und Zeremonienmeister werden im Anschluss noch einmal kontrollieren, ob auch wirklich jede Stelle des Körpers mit dem Grabgewand aus Jade bedeckt ist. Insgesamt 2498 rechteckige Plättchen aus der kostbaren Jade, verbunden mit feinem Golddraht, bilden das Totenkleid, welches schon zu Lebzeiten des Herrschers passgenau angefertigt worden ist. Zuvor hat man die Körperöffnungen mit kleinen Jadepflöcken verschlossen, damit die Wirkung der Jade auch die inneren Bereiche des Körpers erreicht. Denn nur dann kann der Körper Liu Shengs (gest. 113 v. Chr.), Sohn des Kaisers Jing und älterer Bruder des amtierenden Kaisers Wu, für die Ewigkeit konserviert werden.

Die Jadekultur im alten China

Jade (Yu), das ist die „Essenz der Kraft der Berge“. Durch Jade glaubt man mit dem Mythischen, dem Göttlichen kommunizieren zu können. Schon die frühen chinesischen Kulturen kannten und verarbeiteten dieses Mineral, das dank seiner Seltenheit und Eigenschaften zum am meisten begehrten und symbolträchtigsten Edelstein Chinas geworden ist. Das älteste chinesische Wörterbuch (Shuowen jiezi) aus dem 2. Jahrhundert vor Christus beschreibt Jade mit den Worten:

»Jade ist Schönheit in Stein mit fünf Tugenden: Ihr warmer Glanz steht für Menschlichkeit, ihr angenehmer Klang für Weisheit, ihre makellose Reinheit für sittliche Lauterkeit, ihre Beständigkeit für Ausdauer und Tapferkeit.« Jade drückt also das ganzheitliche Lebens- und Naturverständnis altchinesischer Kultur aus. Sie ist ein Spiegel für geistige Werte und gesellschaftliches Zusammenleben. Das Mineral ist nicht nur ein Status- oder Machtsymbol, sondern wird zu diesem, da es als Sinnbild geistiger Werte gilt.

Die Zeit der Streitenden Reiche (475-221 v. Chr.) ist eine Epoche des Krieges und politischer Instabilität, aber auch eine Zeit des sozialen Wandels. In dieser Phase allgemeiner Unruhe erblüht die Philosophie an den Höfen der chinesischen Königreiche. Der große Denker und Staatsmann Konfuzius entwirft unter ihrem Eindruck eine Lehre, die einer aus den Fugen geratenen Welt Harmonie und Frieden zurückbringen sollte. Seiner Lehre zur Folge braucht eine Gesellschaft klare Hierarchien, um die himmlische Ordnung aufrecht zu erhalten: Die Jungen schulden den Alten Gehorsam, wie der Diener dem Herrn; im Gegenzug darf der Schwächere vom Höherstehenden Schutz und Fürsorge erwarten. »Der Edle vergleicht seine Tugenden mit Jade« so schreibt er in seinen Frühlings- und Herbstannalen aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. Mit diesen Worten fasst Konfuzius den Kern seiner “Ethik der Schmuckjaden” zusammen. Seine Anhänger werden diesen Lehrsatz über Jade an den Höfen der Adligen über die Jahrhunderte weiter verbreiten. Sie verbinden das gesellschaftsbestimmende Ritensystem des alten China mit den philosophischen und ethisch-moralischen Begriffen der konfuzianischen Harmonielehre. Diese im staatlichen Ritus und Opferkult verwendeten Ritualjaden ordnen die Konfuzianer nun den verschiedenen Adelsrängen zu. An die Spitze stellten sie die dunkelgrüne gui-Jade, die allein dem Kaiser und Angehörigen des Hochadels vorbehalten ist.

Dieses Ritensystem besteht aus religiösen Opferhandlungen und gesellschaftlichen Zeremonien, die von Priestern des Staatskultes zelebriert werden. Objekte aus Jade (Ritualjaden) dienen hierbei als Opfergaben an die Götter; getragen als Schmuck sind sie  Statussymbole der Teilnehmer. Das Shouwen jiiezi erklärt das Schriftzeichen Jade als Zeichen eines Priesters, welcher »mit Hife von Jade einer Gottheit dient«. Jade bildet also das Bindeglied zwischen Priestern und Göttern. Der Priester erfährt den Willen der Götter und opfert diesen dafür Jadeobjekte und andere Opfergaben. Die Verbindung von Herrscher und Jade ist in der Lehre von Ying und Yang begründet. Im Buch der Wandlungen (Zhouyi), im Kapitel Die Acht Orakeldiagramme heißt es über das Prinzip der beiden gegensätzlichen und gleichzeitig harmonierenden Urprinzipien der Natur: „Das Diagramm Quian steht für den Himmel, für das Rund, für den Herrscher, für den Vater, für Gold, für Jade […]“. Jade wird als männliches Prinzip (yang) interpretiert und direkt mit dem Herrscher in Verbindung gebracht. Damit politisieren die Konfuzianer die Ritualjaden und geben ihr einen festen Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie Chinas. Das neue Ritualjadensystem bestimmt nun, welche Schicht des Adels welchen zeremoniellen Jadeschmuck beim Opferkult verwenden und öffentlich tragen durfte.

Kaiser Qin Shihuangdis Wunsch nach Unsterblichkeit

Übernehmen und sich daran orientieren wird sich vor allem der Reichseiniger und »erster erhabener Kaiser der Qin Dynastie«: Qin Shihuangdi. Unter seiner Herrschaft (247-210 v. Chr.) ist das östliche China zu einem Einheitsstaat vereint worden und der neue Herrscher setzt umfassende Reformen in Gang: Das Lehnssystem der Zhou-Zeit (1100-221 v. Chr.)  wird ersetzt durch Kommandanturen und Landkreise, die von staatlichen Beamten verwaltet werden. Dazu gehört auch eine reichsweite Vereinheitlichung des Münzsystems und der Schriftzeichen. Das bestehende Straßennetz lässt er ausbauen, hauptsächlich, damit seine Armeen schneller und besser durch das Land marschieren können. Für Großbauprojekte wie den Ausbau der “Großen Mauer” oder des eigenen Mausoleums lässt Qin Shihuangdi Kriminelle und in Friedenszeiten seine Soldaten heranziehen. Auch scheut er nicht davor zurück die Landbevölkerung von den Feldern auf die Baustellen zu schicken. Aber neben dem Fortschritt hat der neue Herrscher auch seine Schattenseiten.   So lässt der Kaiser 213 v. Chr. alle Schriften, die nicht dem Staatswohl dienlich sind, öffentlich verbrennen und 400 missliebige Gelehrte bei lebendigem Leibe beerdigen.

Der Kaiser träumt insgeheim aber von noch größeren Dingen: seiner Unsterblichkeit. Denn auch er, der dem Reich Frieden gebracht hat, muss irgendwann sterben. Um sein Ableben hinauszuzögern und seine Herrschaft möglichst zu verlängern, beschäftigt der Kaiser an seinem Hof Magier, Alchemisten und Mystiker, deren Aufgabe es ist, ihren Herrn mit lebensverlängernden Tränken und Drogen zu versorgen. Überzeugt von der Existenz einer Pflanze, die ihn unsterblich machen würde, endsendet der Kaiser mehrere Expeditionen, um diese an sich zu bringen. Zur Legendenbildung führt dabei die Reise des Gelehrten und Magiers Xu Fu, der von Qin Shihuangdi beauftragt wurde, ihm das Kraut der Unsterblichkeit von der Insel der Seligen zu bringen. Mit mehr als 3000 Schiffen, besetzt mit Männern und Frauen sowie Getreide und Wein als Tauschmittel macht sich der Entdecker auf die Suche. Er kehrte allerdings nie nach China zurück. Der Legende nach soll Xu Fu schließlich, um der Bestrafung des Kaisers zu entgehen, an den Küsten Japans gelandet sein und dort sein eigenes Kaisertum begründet haben.

Die vermeintlich lebensverlängernden Maßnahmen Qin Shihuangdis sind beispielhaft dafür, wie die frühe literarische-philosophische Tradition des Daoismus aus dem 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. von der Machtelite im chinesischen Hochadel interpretiert und umgesetzt wurde. Die in den unsicheren Zeiten der Reichskriege entstandene Philosophie zielt mehr auf eine transzendente Loslösung vom Diesseits, als auf eine weltliche Verlängerung des Lebens. So beschreibt das Werk Zhuangzi (4. Jhd. v. Chr.) den Unsterblichen oder »wahren Menschen«, als denjenigen, welcher die diesseitige Welt zurückgewiesen hat: „Der höchste Mensch ist wie ein Geist. […] Leben und Tod­ – ­sie verändern sein Selbst nicht.

Die Unsterblichkeitslehre in der Han-Dynastie

Die Verbindung der frühdaoistischen Unsterblichkeitsidee mit dem weltlichen Verlangen des chinesischen Adels wird auch von den Nachfolgern Qin Shihuangdis übernommen. Die Kaiserfamilien und Angehörigen des Adels der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) pflegen einen Unsterblichkeitskult mit dem Ziel, Einlass in die Paradiese der Unsterblichen zu erlangen, welche auf einsamen Inseln und Berggipfeln verortet waren. Dort glaubt man den irdischen Genüssen endlos frönen zu können. Dies erklärt auch die Lage der Fürstengräber in der Han-Zeit auf hohen Bergen. Man wünscht den Unsterblichen wenigstens im Tode näher zu sein.

Totenkleider aus Jade

Nach dem chinesischen Seelenkonzept besitzt der Mensch zwei Seelen: Eine Geistseele (Hun), welche nach dem Tod zum Himmel aufsteigt und eine weitere, die im Körper verbleibt (Po). Damit die erdgebundene Po-Seele besänftigt bleibt und kein Unheil über die Nachfahren bringt, wird sie in die Grabanlage und den Körper des Verstorbenen verbannt. Der Po-Seele soll es trotzdem an nichts fehlen. Die Fülle der Grabbeigaben, bestehend aus Nahrungsmitteln, Waffen, Schmuck und anderen Gegenständen sind daher nicht nur ein Statussymbol des Verstorbenen, sondern wichtiger Bestandteil des altchinesischen Bestattungsritus. Ähnlich den alten Ägyptern teilten die Chinesen den Glauben daran, dass eine Seele nur dann im Jenseits weiterexistieren könne, solange der Leichnam im Diesseits existiert. Unsterblichkeit setzt also einen unversehrten Leichnam voraus. Die konservierende und lebenserhaltene Kraft der Jade sollte den darin eingekleideten Körper des Toten daher solange wie möglich vor der Verwesung schützen, um der Seele des Verstorbenen eine Heimstatt zu bieten.

Wie tief der Glaube an die Lebenserhaltene Kraft der Jade nicht nur im Adel, sondern auch in der Bevölkerung verankert war, zeigt eine Stelle aus dem Hou-Hanshu (5. Jhd. n. Chr.), das über die Hungerrevolte der Bauern, den sog. Rote Augenbrauen schreibt: „Als die Roten Augenbrauen die Kaisergräber der Westlichen Han-Periode aufbrachen, waren in den Jaderüstungen die Körper der Toten wie von Lebenden.“ Dass die erhaltende Wirkung der Jade nicht funktionierte, bezeugen die archäologischen Funde. Liu Shengs Leichnam ist bei seiner Entdeckung bis auf wenige Knochenstücke und Stoffreste vollständig zu Staub zerfallen. Gleichwohl verhalf die Entdeckung seines Grabes 1968, Liu Sheng in Gewisser Weise doch noch zur Unsterblichkeit. Denn sein erhaltenes Grabgewand bietet uns Einblicke in die Vorstellungen und Wünsche eines Menschen, der vor über 2000 Jahren gelebt hat.

Ein Beitrag von Leonhard Lietz


Literaturhinweise:

Jansen, Thomas: Die Felsengräber der Mancheng und das höfische Leben zur Zeit der Westlichen Han-Dynastie (206v.Chr.-9n.Chr.). In: China, eine Wiege der Weltkultur. Hrsg. v. Arne Eggebrecht. Mainz 1994. S. 85-95.

Kuhn, Dieter: Totenritual und Beerdigung im chinesischen Altertum. In: Das alte China. Menschen und Götter im Reich der Mitte 5000v.Chr.-220n.Chr. Hrsg. v. Kulturstiftung Essen. Essen 1995. S. 45-67.

Lie, Chen: Der Ahnenkult im alten China. In: Das alte China. Menschen und Götter im Reich der Mitte 5000v.Chr.-220n.Chr. Hrsg. v. Kulturstiftung Essen. Essen 1995. S. 36-44.

Wagner, Mayke: Jade-Der edle Stein für die Elite. In: China, eine Wiege der Weltkultur. Hrsg. v. Arne Eggebrecht. Mainz 1994. S. 96-104.

Yang, Yang: Die Entstehung der chinesischen Jadekultur. In: Das alte China. Menschen und Götter im Reich der Mitte 5000v.Chr.-220n.Chr. Hrsg. v. Kulturstiftung Essen. Essen 1995. S. 95-105.


Lexika: http://www.chinaknowledge.de/History/Han/personsqinshihuang.html

Bildquelle: Totengewandt des Liu Sheng. Hebei Museum, China.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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