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Marayin – Die spirituelle Welt der Ureinwohner des Arnhemlands, Australien

Dieses Buch bildet den Auftakt zu der Reihe Kleines Mythologisches Alphabet der Edition Hamouda, einer, wie von einem der Herausgeber im Vorwort beschrieben, essayistisch-spielerischen Reihe, die sich passend zu den einzelnen Buchstaben des Alphabets mit Mythologien beschäftigt.

Die Autorin Birgit Scheps ist eine ausgewiesene Australienexpertin, die seit vielen Jahren immer wieder Zeit in Australien mit Aborigines verbrachte und so zu einer Kennerin verschiedener indigener Kulturen werden konnte. Ihre Gewährsleute, Frauen und Männer verschiedener Gruppen, die für sie zu Freunden wurden, ließen sie teilhaben an ihrem traditionellen Wissen. Dazu gehören auch die Geschichten von den mythischen Wesen, Schöpfungsahnen und Geistern aus dem Arnhemland, die in diesem kleinen Büchlein leichtfüßig nacherzählt werden. All diese Wesen lebten lange vor der Traumzeit, die in der Sprache der Kunjwinku, Yolngu und Jawoyn „Marayin“ heißt, und schufen während dieser mythischen Schöpfungsphase das Land und seine natürlichen Gegebenheiten wie die lebenswichtigen Flüsse und Wasserlöcher, die Felsen und Berge, aber auch die Tiere und Pflanzen, von denen die Menschen bis heute leben. Birgit Scheps erzählt von der mächtigen Regenbogenschlange Yulunggur, einem zweigeschlechtlichen Wesen, das mit dem lebenspendenden Regen, den Wasserlöchern und Flussläufen und mit Fruchtbarkeit im Allgemeinen in Verbindung gebracht wird. Und sie erzählt von Djankawul, dem riesigen Donnermann und seinen Schwestern. Djankawul ist der Hüter der Jahreszeiten und der Schöpfer von Wolken, Stürmen und Regen. Sie alle und unzählige weitere Schöpfer, Geister und Ahnen schufen die Welt der Aborigines von Arnhemland.

Mit Hilfe der Mythen lernen die Kinder bis heute, wie ihre – vor dem Zugriff der weißen Zivilisation seit einigen Jahren wieder geschützte – Welt funktioniert, welche sozialen Normen und ethischen Regeln eingehalten werden sollten. Dazu gehört unter anderem die Verpflichtung der Älteren, für die Kinder zu sorgen, genauso wie die Pflicht der Jungen, sich um die Alten zu kümmern. Die Mythen erklären, in wen man sich besser nicht verlieben sollte, weil seit Urzeiten Heiratsverbote bestehen. Denn die indigene Gesellschaft Arnhemlands wird von einem althergebrachten, ausgefeilten Verwandtschaftssystem geprägt, das die Menschen in zwei Gruppen ordnet und jedem Individuum seinen festen Platz im System zuteilt.

Die mythischen Geschichten, die hier nacherzählt werden, erfuhr die Autorin bei gemeinsamen Streifzügen, die dem Sammeln, Jagen und Fischen dienten, oder am Lagerfeuer im Camp. Die Geschichten, so betont sie, sind nicht heilig und geheim. Sie werden zur Belehrung der Jugend und zur Unterhaltung erzählt. Unterhaltsam sind sie auch zu lesen. Wer eine wissenschaftliche Deutung des Konzeptes Traumzeit und der einzelnen Traumzeit-Protagonisten erwartet, liegt mit diesem Buch falsch. Aber das ist auch gar nicht Anliegen dieses kleinen Büchleins. Wer noch mehr erfahren will, kann sich im angefügten Literaturverzeichnis informieren.

Birgit Scheps, seit vielen Jahren Kustodin für Australien und Ozeanien der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen und am Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig, hat neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit schon zahlreiche populärwissenschaftliche und literarische Veröffentlichungen sowie Kinderbücher vorgelegt. In diesem Sinne bietet Marayin – Die spirituelle Welt der Ureinwohner des Arnhemlandes, Australien eine wunderbare, kurzweilige Hinführung an eine durch alte Traditionen geprägte indigene Kultur. Viel Spaß beim Lesen.

Ein Beitrag von Christine Schlott

Christine Schlott studierte Ethnologie, Soziologie und Journalistik in Leipzig, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft/ Volkskunde in Jena.


Literaturhinweis:

Birgit Scheps. Marayin – Die spirituelle Welt der Ureinwohner des Arnhemlands, Australien. Kleines Mythologisches Alphabet. Edition Hamouda: Leipzig 2016.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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