Etwas über Dante

Der Florentiner Dante Alighieri ist 1321 – also vor 700 Jahren – in Ravenna gestorben, und aus diesem Anlass werden viele kluge Menschen viele kluge Dinge über den verehrten Schöpfer der Göttlichen Komödie schreiben. Wer sich auf den Dichter Dante einlässt, kann erfahren, dass er gefordert hat, jeden Text müsse man in vierfachem Sinn auslegen können – einmal im buchstäblichen Sinn, dann im allegorischen Sinn, weiter im moralischen Sinn und schließlich im anagogischen Sinn, wobei anagogisch eine Anleitung zum Aufstieg meint, und zwar „zum Aufstieg in die Sphäre der Glaubenswahrheit“, wie es bei Ernst Robert Curtius in dem Buch zu lesen ist, in dem er 1932 „Elemente der Bildung“ beschrieben hat. Als jemand, der vor allem über Fortschritte und Einsichten der Naturwissenschaften schreibt, möchte ich einmal in knapper Form nachprüfen, ob Dantes vierfache Forderung an Geschriebenes etwa in Sachbüchern erfüllt werden kann.

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Planet Dante. Ein Reisebericht

Je größer ein Gegenstand ist, desto subjektiver die Zugänge zu ihm. Der Gegenstand hört bei einer bestimmten Größe geradezu auf, Gegenstand, das heißt überschaubar, beschreibbar, berechenbar zu sein. Er wächst über das Vermögen des einzeln Wahrnehmenden hinaus, wie der Berg Mont Sainte Victoire bei Cézanne, der ihn immer wieder neu malen musste. Solche großen „Gegenstände“ sind Meere und Gebirge. Auch die mikrobiologischen Vorgänge gehören dazu, die sich in ihre andere Unendlichkeit verlieren: Das Kleine ist nur der Zipfel eines großen Unsichtbaren. Groß ist die Erde selbst, sodass wir nur durch den Blick aus dem Weltall sehen, wie rund sie ist. Ähnlich die Werke Shakespeares, die Bibel, Leonardo da Vinci. Wie Planeten schwingen sie um unser Bewusstsein und mehr noch um unser Unbewusstes. Auch Dantes Werk ist ein solcher Planet, möglicherweise noch der am wenigsten bekannte. In unseren Breiten ein fast unsichtbarer, der nur von Zeit zu Zeit, je nach Maßgabe des sich feiernden Dezimalsystems, das uns Jubiläen beschert, auftaucht. Einige Astronomen richten kurzzeitig ihre Fernrohre auf den Himmelskörper, echauffieren sich und diskutieren, während er schon längst wieder am Horizont verschwunden ist.

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Einblicke und Ausblicke – Vom Kosmos fantastischer Kreaturen zu Reisen in imaginäre Welten

“Nach alldem wird man unschwer einräumen, dass nichts unsere Mitbürger die Vorkommnisse erwarten lassen konnte, die sich im Frühling jenes Jahres zutrugen und die, wie wir später begriffen, gleichsam die ersten Anzeichen der Serie von schlimmen Ereignissen waren, über die hier berichtet werden soll. Diese Tatsachen werden manchen ganz normal erscheinen und anderen wiederum unwahrscheinlich. Aber schließlich kann ein Berichterstatter diese Widersprüche nicht berücksichtigen. Er hat nur die Aufgabe zu sagen: “Das ist geschehen”, wenn er weiß, dass dies tatsächlich geschehen ist, dass dies das Leben eines ganzen Volkes betroffen hat und es also Tausende von Zeugen gibt, die in ihrem Herzen die Wahrheit dessen, was er sagt, bewerten werden.” (Albert Camus, Die Pest, 1947)

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Dazwischen?

Vor wenigen Tagen wurde Kroatien von einem Erdbeben mittlerer Stärke erschüttert. Die Ausläufer dieser Plattenbewegungen waren noch in den anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawiens zu spüren. Auch in den Höhlen von Pazin geriet das weit verzweigte unterirdische Wassersystem in Unordnung, spülte Unmengen von Artefakten an, Helme, Puppen, Knochen, Flaschen, blaue Plastikteile, die von Antipersonenminen aus den Kriegen der Neunziger Jahre stammten, alte aufgeweichte Soldbücher, Gasmasken sogar aus den ersten beiden großen Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Karsthöhle von Pazin, die am Rande einer gewaltigen Schlucht liegt, wurde zwar immer wieder erforscht, Taucher drangen weit vor oder verschwanden, aber es ist nicht genau geklärt, bis wohin sich diese Seen, die teilweise über- beziehungsweise untereinander liegen, und die sie verbindenden Höhlensysteme erstrecken.

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Kosmologie und Literatur I: Von Dante zur Science Fiction

Die Ornamente auf der Tapete nimmt man oft erst zur Kenntnis, wenn man krank im Bett liegt. Meist sind wir im Bild, bewegen uns mit den Protagonisten, identifizieren uns, leiden und freuen uns mit ihnen. Sobald wir jedoch in eine Krise geraten, greift diese auf das Bild über. Wir verlassen den Inhalt des Bildes mit seinen bunten Ablenkungen und beginnen uns auf den Rahmen zu konzentrieren. Was stimmt da nicht mehr? Wie verhält sich das Bild als Ganzes zum Rest der Wand oder der Welt? Dann fragen wir uns, wie Gauguin 1897 in seinem berühmten Gemälde: „Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?“ Wir geben uns nicht mehr zufrieden mit dem Leben auf der Insel, wir wollen wissen, wie diese Insel eingebettet liegt in größere Archipele, Kontinente, Galaxien – mit anderen Worten, in größeren Fragen. Neben die Frage nach dem Sinn unseres kleinen Lebens tritt die Frage nach dem Sinn allen Lebens. Sich mit Science Fiction zu beschäftigen, ist nicht die schlechteste Art, dieser Frage nachzugehen; in jedem Fall hat uns diese Form der Literatur einen Kosmos eröffnet, in dem unsere Stellung höchst befragenswert geworden ist. Sind wir allein? Wenn es einen Erlöser gab, hat er für die gesamte Galaxie gewirkt? Wo stehen wir mit unserer Evolution, über die ein amerikanischer Physiologe so treffend gesagt hat: „Der Planet Erde hat 4,5 Milliarden Jahre gebraucht, um zu entdecken, dass er 4,5 Milliarden Jahre alt ist.“ (George Wald)

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Über die Grenzen

Liebe Leserinnen und Leser,

wir freuen uns sehr, ankündigen zu dürfen, dass es die Essays des Mytho-Blogs nun auch in klassischer Buchform zu lesen gibt. Anlässlich des diesjährigen Wave-Gotik-Treffens in Leipzig haben wir fünf unserer Beiträge unter dem Titel “Über die Grenzen – Geschichten zwischen Oberwelt und Unterwelt” publiziert. Weitere Texte sind in Arbeit.

Wenn Sie also nicht ausschließlich klicken und scrollen möchten, können sie sich über mythische Unterwelten, dem Wahnsinn verfallene Phantome, Geister, Glöckner, Kopflose Reiter und die Wilde Jagd ab sofort auch gemütlich auf dem Sofa informieren.

Denn Mythen kennen keine Grenzen.

Wir danken Ihnen für Ihr Interesse und Ihre Treue!

Ihr Autorenteam vom Mytho-Blog

Dr. Constance Timm und Pia Stöger

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

“Leicht ist der Abstieg zur Unterwelt” – Eine mythische Reise unter Tage

Der Begriff “Unterwelt” weckt in uns verschiedenste Assoziationen. Manch einer verbindet damit etwas Düsteres, Kriminelles; eine Parallelwelt, in der Menschen leben und wirken, die sich einen eigenen Raum fernab gängiger Normen und Gesetze geschaffen haben. Für andere bedeutet “Unterwelt” ein Ort unter Tage, fernab vom Licht, bedrückt von Enge und Mangel an frischer Luft, wie es über Jahrhunderte lang im Kohle- und Erzbergbau der Fall gewesen ist. Die “Unterwelt” ist also eine räumliche Abgrenzung von der Welt, die wir kennen, die den Besucher mit besonderen Begebenheiten und Ansprüchen konfrontiert. In kultureller und mythischer Deutung ist sie auch die Welt, in der die Seelen der Verstorbenen nach dem Tod einziehen und leben, ein Reich, das für den Sterblichen verschlossen bleibt. Sie ist eine Vorstellung, ein Konstrukt, das wir uns in Geschichten und Legenden imaginieren und bevölkern. Vielleicht, um uns dadurch unsere Angst vor dem Dunkeln (und die Unterwelt wird mit Dunkelheit per se in Verbindung gebracht), dem Unbekannten, dem Unterbewussten in uns selbst und in unserer Umwelt einen Ausdruck zu verleihen. Vielleicht auch, um uns das Wissen um den Tod, der letzten Schwelle zum Unbekannten, die uns allen vorherbestimmt ist, erträglicher zu machen. Der Begründer der analytischen Psychologie, Carl Gustav Jung (1875-1961), hat die “Unterwelt” mit den sogenannten Mutterarchetypen in Zusammenhang gebracht; das Gebärende, Fruchtspendende und Leben bringende einerseits, schließt andererseits das Geheime, das Finstere, Todbringende und Abgründige wie in einem Kreislauf mit ein. Oder, wie es die Alchemisten, ausgehend von ihrer mythischen Schrift, der Smaragdtafel des Hermes Trismegistos, auszudrücken wussten: Das Oberen ist das Untere. Das eine existiert nicht ohne das andere. Das passt in die dualistische Vorstellung, die dem Menschen zu eigen ist, man denke da an Gut und Böse, Groß und Klein, Laut und Leise, Himmel und Hölle, Schwarz und Weiß etc. Und so muss es – fast zwangsläufig – neben der Oberwelt auch einen Ort jenseits davon geben.

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Feuer der Götter: Vulkane und ihre Mythen

Erneut rumort es im Mongibello (gelegen zwischen den sizilianischen Städten Messina und Catania), den die meisten von uns als Ätna kennen. Seit Weihnachten spuckt der aktivste Vulkan Europas Asche und Lava. Experten prognostizieren gar das Bevorstehen eines größeren Ausbruchs. Erdbeben, Flugausfälle, Evakuierungen. Viele erinnern sich vielleicht noch an das Spektakel von 2010. Damals war es der Eyjafjallajökull an der Südküste von Island, der mit seinen Eruptionen vor allem die Geduld der Flugreisenden strapazierte. Im Gegensatz zum Ätna liegt der Eyjafjalla weistenstgehend abseits von Städten und Siedlungen. Von einer neuen Magmakammer unter dem “Gutmütigen” gehen die Forscher derzeit aus und in der Tat, sind spontane, exposionsartige Eruptionen am Ätna, wenn auch vorhanden, in den historischen Aufzeichnungen eher seltener Natur. Sein italienisches Pendant, der Vesus (gelegen am Golf von Neapel), hat es aufgrund seines verheerenden Ausbruchs im Jahr 79 n. Chr. (überliefert vom römischen Schriftsteller Plinius dem Jüngeren), bei dem die antiken Städte Pompeji, Herculaneum, Oplontis und Stabiae verschüttet wurden, zu wesentlich traurigerer Berühmtheit gebracht. Aus dem 12., 17. und 18. Jahrhundert sind weitere heftige Ausbrüche des Vesuvs bekannt; der zuletzt dokumentierte fand im Jahr 1944 statt.

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