Verbotene Früchte

Es ist wohl die bekannteste Geschichte um Verbot, Verführung und Vertrauensbruch des christlichen Abendlandes: Von allen Bäumen im Garten Eden durften Adam und Eva essen, außer von einem. Der “Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen” (1. Mose, 2:9) wird er genannt. Auf Einflüsterung der Schlange pflückt Eva aber doch eine Frucht von seinen Zweigen und teilt sie mit ihrem Mann, worauf das Menschenpaar des Paradieses verwiesen und die Erbsünde über die Menschheit gebracht wird.

Adam und Eva (1526) von Lucas Cranach d. Ä. (1472-1553)

Die Mythologien dieser Welt sind erfüllt von Geschichten, welche Speisen mit magischen oder göttlichen Kräften in Verbindung bringen. In ihrer Macht bedeuten sie Sinnlichkeit, aber auch Grenzüberschreitung – ihr Genuss verändert den Menschen, so wie es auch in der biblischen Geschichte um Adam und Eva geschieht. Dabei sind die Konsequenzen jedoch nicht immer so verheerend.

In ihrer Funktion nicht nur als Produkt von Bestäubung und Reifeprozess, sondern auch als Träger von Samen und somit zukünftiger Generationen einer Pflanze, symbolisieren Früchte aller Art das Werden und Vergehen, Fruchtbarkeit und Geburt, Sexualität und Fortpflanzung.

Der Granatapfel ist in dieser Hinsicht wohl die Frucht, welche diese Prozesse am deutlichsten verkörpert. Im Koran ist der Granatapfelbaum eine der Pflanzen, die im Garten nach dem Tode auf die Gläubigen warten.

Auch in der Bibel findet der Granatapfel immer wieder Erwähnung. Manchmal wird er als die ursprüngliche “Verbotene Furcht” interpretiert, die Eva vom Baum pflückte. Im Hohelied Salomos, eine Sammlung sehnsuchtsvoller und manchmal sehr expliziter Liebeslieder, stehen Früchte als Innbegriff des sexuellen Verlangens und sinnlichen Genusses. Äpfel, Trauben und der daraus gewonnene Wein kommen in seinen Zeilen vor – und natürlich der Granatapfel.

Seinen gesunden und dadurch schönheitsfördernden Eigenschaften hat der Granatapfel wohl auch sein Erscheinen auf der Hochzeit des Peleus und der Thetis, die Eltern des Achilles, zu verdanken. Aus Wut darüber, keine Einladung erhalten zu haben, wirft Eris, die Göttin der Zwietracht, einen goldenen Apfel (eigentlich aber einen Granatapfel) in die Menge. Auf diesem steht “Der Schönsten” und sogleich erheben Hera, Athene und Aphrodite Anspruch darauf. Prinz Paris von Troja soll entscheiden. Nacheinander versuchen die Göttinnen ihn mit Königreichen und Schlachterfolg zu bestechen, doch am Ende gelingt es Aphrodite. Sie verspricht ihm die Frau, die er liebt: die schöne Helena von Sparta – und so ist es im Kern der Geschichte ein Granatapfel, der den Trojanischen Krieg auslöst.

Das Römische Pendant zu Persephone. Proserpine ( 1874) von Dante Gabriel Rossetti (1828-82)

Auch war er die Frucht der Unterwelt und galt dem Gott Hades und seiner Frau Persephone. Diese hatte er vom Angesicht der Erde entführt und wollte sie selbst auf Forderungen des Zeus nicht zu ihrer Mutter Demeter zurückbringen. Laut dem Göttervater sei eine dauerhafte Rückkehr nur möglich, sollte das Mädchen in der Unterwelt nichts zu sich genommen haben. Sechs Granatapfelkerne, die Hades ihr in den Mund legte, besiegelten ihr Schicksal; Persephone wurde zur ambivalenten Gestalt des Lebens und des Todes, wegen deren Rückkehr ihre Mutter Demeter die Blumen auf der Flur erblühen lässt und die als Königin der Unterwelt an der Seite ihres Ehemannes über das Totenreich herrscht.

Die Frucht des Kirschbaumes war der griechischen Göttin Artemis geweiht, der Göttin des Waldes, der Jagd, des Mondes und Schützerin von Frauen und Kindern. Ihre Jungfräulichkeit ist ein wichtiges Attribut, welches sie stets verteidigte. Die Kirsche galt jedoch auch als Frucht der Leidenschaft und Liebe. Weniger magisch ist daher die Verbindung der beiden, die man womöglich in der englischen ordinären slang Phrase “to pop one’s cherry” (frei übersetzt “die Kirsche hervorholen/öffnen”) wiederfindet, was so viel wie “die Jungfräulichkeit verlieren” bedeutet.

In Früchten wohnte große natürliche oder übernatürliche Macht. Wurde Persephone durch eine Frucht Göttin der Unterwelt, so verliehen die goldenen Äpfel in der nordischen Mythologie den Göttern ihr immerwährendes Leben. Ihre Hüterin war Idun, die Göttin der Jugend und Unsterblichkeit. Wie wichtig sie und die Äpfel tatsächlich für das nordische Pantheon waren, erzählt die Geschichte des Riesen Thiazi, der Idun und die Äpfel im Gegenzug zur Freilassung des Gefangenen Loki forderte. Kaum war sie fort, begannen die Götter sogleich zu altern und es war an Loki, den Schaden zu beheben, was ihm auch nach riskanter Rettung gelang.

Idun und die Äpfel (1890) von James Doyle Penrose (1862-1932)

Ebenso wie Pflanzen und Blumen waren Früchte im Alltag der Menschen seit jeher Teil des Alltages. Ihre Eigenschaften, die den Menschen als zuträglich, aber auch oft als tödlich bekannt waren, fanden ihren Weg ganz natürlich in ihre Glaubensvorstellungen.

Sie verbergen den Samen im Inneren wie ein Geheimnis, das es zu ergründen gilt und verlocken durch Farbe und Geschmack. Tabubrüche sind ein Lieblingsthema von fesselnden Geschichten, es ist also kein Wunder, dass die Mythologien sich verbotener Früchte bedienten.

Ein Beitrag von Pia Stöger

Literaturhinweis:

Bibel Online. (https://www.bibel-online.net/), 27. Juni 2019

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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