Zur Einsamkeit verflucht: The Lady of Shalott

“I am half sick of shadows, said
The Lady of Shalott.”

Ein einsames Leben in ihrer Burg auf der Insel Shalott, welche im Fluss nach Camelot, dem Schloss des sagenumwobenen König Arthurs liegt. Auf ewig dazu verdammt die Bilder der Außenwelt in ihrem magischen Spiegel zu betrachten und das Gesehene in ein wildes Geflecht zu weben – dies ist das Schicksal der Lady of Shalott („Die Dame von Shalott“). Nur dann und wann hören die Menschen auf den Feldern ihren Gesang herüberwehen, meist in den blauen Stunden des Abends. Dann flüstern sie von der Fee, der verwunschenen Dame, welche auf der wild bewachsenen Insel fern von allem lebt. Keiner hat sie je gesehen, noch weiß man, wer sie ist. Ein Fluch hindert sie daran, ihr Heim zu verlassen – auch wenn sie sich nichts sehnlicher wünscht. Und es kommt, wie es kommen muss: Die Liebe wird ihr zum Verhängnis und führt sie in den Tod.

In seiner berühmten Ballade, welche erstmals 1832 und in überarbeiteter Version 1842 erschien, beschwört der englische Dichter Alfred Lord Tennyson (1809-1892) ein farbenfrohes Bild herauf. Obwohl er als Poet Laureate (Hofdichter) der Königin Viktoria zur literarischen Epoche des Viktorianischen Zeitalters gehörig gilt, entspricht besonders seine Ballade um die unglückliche Herrin der Insel den romantischen Vorstellung von übernatürlichen Elementen, der Natur und den mittelalterlichen Quellen. Vorbild der Gestalt der Lady of Shalott ist die Elaine of Astolat, eine Sagenfigur aus den Legenden um König Arthur. Schon die italienische Novelle Donna di Scalotti aus dem 13. Jahrhundert beschäftigt sich mit dieser tragischen Frauengestalt und kündet von ihrer Beliebtheit. Auch in der berühmten Überarbeitung der Legenden Le Morte d’Arthur (veröffentlicht 1485) durch den englischen Schriftsteller Sir Thomas Malory (1415-1471) erscheint sie.

Lancelot, ein volkommener Ritter von König Arthurs Tafelrunde und sein engster Vertrauter, der nicht nur ein meisterlicher Kämpfer sondern auch bei den Frauen sehr beliebt ist, bezieht anlässlich eines Turniers auf dem Familienanwesen der Astolats Quartier. Nachdem er beim Turnier verletzt wird, bittet Elaine, die sich Hals über Kopf in ihn verliebt hat, ihren Vater darum, Lancelot in ihren Gemächern gesund pflegen zu dürfen. Als er genesen ist, will Lancelot sogleich aufbrechen und bietet Elaine äußerst schmählich an, sie für ihre Dienste zu entlohnen. Tief gekränkt, bringt sie ihm seine Habseligkeiten und kann doch ihre Gefühle nicht verbergen. Was sie jedoch, wie auch alle anderen, nicht weiß, ist, dass Lancelot eine heimliche Liebschaft mit Königin Guinevere pflegt und allein deshalb ihre Gefühle nicht erwidert. Befremdet bricht Lancelot auf, bestrebt, sie nie mehr wiederzusehen. Zehn Tage später stirbt Elaine an gebrochenem Herzen und wird auf ihrem Wunsch hin mit einem Boot auf den Fluss hinausgeschickt; nur mit einer Lilie und einem letzten Brief in der Hand. So erreicht ihre Leiche Camelot, wo der Hof ein lautes Geschrei bei ihrem Anblick erhebt. Lancelot ist ebenfalls dort und, als er den Inhalt des Briefes erfährt, der die Umstände erklärt, sorgt er auf seine Kosten für ein großes, glanzvolles Begräbnis.

Auch in Tennysons Ballade verliebt sich die Dame von Shalott in Lancelot, den sie in ihrem magischen Spiegel sieht, als er auf den Feldern an der Insel vorbeireitet. Die Dame, die bereits zuvor an ihrem einsamen, eintönigen Leben verzweifelt, tut um seinetwillen, was ihr auf Strafe verboten ist. Sie hat die „Schatten“, die sie tagein tagaus sehen muss, satt und geht zum Fenster, um den Ritter tatsächlich mit ihren eigenen Augen zu sehen. Ihr Teppichgewebe zerreißt und der magische Spiegel zerspringt als Zeichen, dass der Fluch, der stets auf sie lauerte, sich erfüllt hat. Ein Unwetter kommt auf und halb in Trance steigt die Dame vom Turm hinab in ein Boot, dass im Dickicht verborgen am Ufer der Insel anliegt.

Ganz nach ihrem Vorbild Elaine treibt das Boot in Richtung Camelot, doch ist die unglückliche Bootsreisende noch nicht tot. Umso weiter sie sich von ihrer Insel entfernt, desto schwächer wird sie. Unter Klagegesang stirbt die Dame einen langsamen Tod und als sie die ersten Häuser Camelots erreicht, ist sie gestorben. Der Hofstaat entdeckt ihre Leiche und ist zugleich erschrocken und bezaubert von der schönen Toten. Lancelot, der ihr in Tennysons Ballade nie begegnet ist, wünscht als letzten Akt den Segen Gottes auf sie, die Dame von Shalott.

In seiner ersten Version von 1832 verwendete Tennyson ebenfalls den Abschiedsbrief, welchen sie als ihre erste und letzte Botschaft an die Menschen mit sich nimmt. Ein letzter, verzweifelter Versuch, jemandem von ihrem Schicksal und ihrer Identität berichten zu können – wenn auch im Tod. Interessanterweise sorgte diese Version für Empörung. Die prüde viktorianische Gesellschaft nahm Anstoß an der Implizierung des Selbtsmordes, welche durch den Brief entstand. Für die Version von 1842 änderte Tennyson das Ende und verzichtete darauf. Obwohl im Kern der Handlung weitgehend gleichbleibend, wählte er eine etwas weniger romantische Sprache und ersetzte den Brief durch Lancelots Wunsch des göttlichen Segens auf die Dame. Diesmal war die tragische Ballade voller Magie und Liebe ein grandioser Erfolg.

Viele Interpretationsansätze haben sich seitdem gefunden. Steht die Dame für die festgelegte Rolle der Frau im häuslichen Leben als angel in the house? Verkörpert sie durch ihre Tätigkeit am Webstuhl das Wesen des Künstlers, der nur in Isolation sein Werk versehen kann, dessen Eintritt in die alltägliche Welt jedoch den Tod seiner Kunst bedeutet? Oder soll ihr trauriges und romantisches Schicksal dem Leser zu einem wohligen Herzschmerz verhelfen? Vielleicht ist es ein bisschen von allem.

Ein Beitrag von Pia Stöger

Literaturhinweise:

“The Lady of Shalott” (1832) von Alfred, Lord Tennyson (https://www.poetryfoundation.org/poems/45359/the-lady-of-shalott-1832)

The Lady of Shalott” (1842) von Alfred, Lord Tennyson (https://www.poetryfoundation.org/poems/45360/the-lady-of-shalott-1842)

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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