Franziska Meier: Dante-Rezeption nach 1800

Die Göttinger Romanistin Franziska Meier legt mit diesem Band die Vorträge einer Ringvorlesung über die Rezeption Dantes vor. Der Ansatz ist komparatistisch und so kann ein großer Teil europäischer Literaturen abgedeckt werden, einschließlich der argentinischen Stimme von Jorge Luis Borges, einem der größten Dante-Verehrer der Moderne. Es ist eine gute Idee, nicht nur Dante-Spezialisten einzuladen, sondern eben Kulturvergleicher und -kenner. Bei einem so breiten Thema wird man immer nur mit Proben rechnen können, Bohrungen an einzelnen Stellen der kulturellen Landschaften.

Der deutschen und französischen Romantik in Malerei und Dichtung widmet man sich – A.W. Schlegel, den Nazarenern in Rom mit ihren dantesken Fresken (Ruth Florack, Christian Scholl) oder Eugène Delacroix‘ „Dantebarke“ als einem „Denkbild“ der Romantik (Michael Thimann). In diesem Umfeld ist auch die Musik eines Franz Liszt zu sehen, der „Inferno“ und „Purgatorio“ in einer sogenannten „Dante-Symphonie“ vertonte. Liszt, so der Autor Axel Schröter, wollte nicht einfach eine musikalische Entsprechung zum Text erstellen, sondern mit der Musik durch die Verbindung mit der Dichtung zu einer neuen Stufe ästhetischer und metaphysischer Art vorstoßen.

Dante lebt unter anderem in Paris weiter, wie zwei Beiträge zeigen. Balzac, der Autor der „Menschlichen Komödie“, huldigte dem Dichter der „Göttlichen Komödie“ in zahlreichen Anspielungen und vor allem in der Erzählung „Les Proscrits“. Darin tritt Dante selbst auf, wie Franziska Meier erläutert. Immerhin kehrt er in dieser Geschichte nach Florenz zurück. Heute scheint es im Übrigen so, dass Balzac den Titel seines Unternehmens nicht an das des Florentiners angelehnt hat, obwohl es auf der Hand läge. Karin Hoff begleitet August Strindberg auf seinen alchemistisch-esoterischen Streifzügen durch Paris, festgehalten in seinem autobiographischen Text „Inferno“, wobei er von Dante ebenso wie von Balzacs mystischen Romanen inspiriert wird, um seiner psychischen Krise Ausdruck zu geben. Die angloamerikanische Literatur ist mit T.S. Eliot (Werner von Koppenfels) und Ezra Pound (Stefano Maria Caselli) vertreten; Samuel Beckett hätte hier auch gut hineingepasst, ebenso Seamus Heaney und manche andere, die in der Anthologie The Poets‘ Dante (2001) vertreten sind. Aber Rezensenten fällt es ja immer leicht, Vakanzen zu bezeichnen. Der Beitrag über Joseph Brodskys Gedicht „December in Florence“ (Zakhar Ishov) ist eine genaue Interpretation mit starkem Bezug zur Biographie des russischen Lyrikers, der sich mit Dante eins wusste, nicht nur was das Exil angeht. In diesem Aufsatz gibt es auch weitere Hinweise auf die russische Dante-Begeisterung, vor allem bei Anna Achmatowa und Ossip Mandelstam.

Die Rezeption in Polen wird ebenso dargestellt wie die deutschsprachige bei Thomas Kling, Stefan George und Rudolf Borchardt. Borges‘ Dante-Vorlesungen und zahlreichen Bezüge auf Dante in seinem Werk zeigen die Verbundenheit des Argentiniers mit der europäischen Kultur, bringen aber durch interessante Interpretationen einzelner Canti neue Blicke auf Dante zur Geltung (María Ximena Ordóñez). Auch die Populärkultur hat ihren Dante, den sie sich unterschiedlich zusammenschneidert. Das Inferno wird in einer italienischen Micky-Maus-Version wieder lebendig (Matthias Roick) und Dante findet Eingang in die Konzeptliteratur und Kunst (Annette Gilbert).

Insgesamt bringen die Vorlesungen den Florentiner in ein weltweites und aktuelles Licht. Schade, dass man sich über den Titel des Buches keine weiteren Gedanken gemacht zu haben scheint. Der bleibt trocken und kann nicht locken. Deutsche Verlage sind zudem zögerlich, Register anzulegen. Im Zeitalter von E-Books, wo man schnell elektronisch findet, ist das ein Nachteil für gedruckte Bücher, dem man zumindest auf diese Weise etwas abhelfen könnte. Immer weniger Menschen lesen ein Buch von A bis Z; gerade bei Sachbüchern braucht man Suchfunktionen, zumal wenn sie nicht billig sind, wie das vorliegende. Schade auch, dass die Autoren nicht kurz vorgestellt werden.

 An welchen Stellen ließe sich das Spektrum der Rezeption erweitern? Ich denke, es fehlt uns an Stimmen aus Afrika, China oder Asien. Die Frage wäre, was können andere, nicht-europäische Kulturen mit dieser christlich-antiken Wortkathedrale anfangen? Gibt es dort Vergleichbares? Die vergleichende Mythologie hat hier noch einiges zu tun. Dafür ist dieser Band aber ein guter Ausgangspunkt.

Ein Beitrag von Prof. Elmar Schenkel

Literaturhinweis:


Franziska Meier (Hrsg.): Dante-Rezeption nach 1800. Königshausen & Neumann: Würzburg, 2018.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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