Das Gefäß und die Eitelkeit: Zum Mythos der Pandora

Pandora erfreut sich seit mehr als zweitausend Jahren großer Popularität. Die mythologische Gestalt mit ihrer so bedeutsamen „Büchse“ oder „Box“ ist über die Jahrhunderte in vielfältiger Weise interpretiert worden, so natürlich auch in der Kunstgeschichte.

An dieser Stelle sollen zwei Gemälde vorgestellt werden, welche die mythologische Figur der Pandora in bemerkenswerter Weise präsentieren.

Nicolas Régnier (1588-1667) war Maler, Kunsthändler und -sammler. Er stammte aus der Grafschaft Hennegaut (frz. Hainaut), einem französisch-sprachigen Teil der Spanischen Niederlande. Nicht selten wird er als flämischer Künstler bezeichnet, wie viele seiner Kollegen aus den Spanischen Niederlanden. Seine Ausbildung erfuhr er in Antwerpen. Um 1615 ging er nach Italien, wo er sich zunächst in Parma, später in Rom und schließlich ab 1626 in Venedig niederließ und sich fortan Niccoló Renieri nannte. Durch seinen Lehrer Abraham Janssens, welcher als einer der wenigen nordeuropäischen Maler bereits zu Lebzeiten Caravaggios in Rom gewesen war und von dessen Kunst stark beeinflusst wurde, wurde auch Régnier geprägt. In den späteren Jahren war es dann die Bologneser Malerei, allen voran Guido Reni, die den Maler ihren Stempel aufdrückte. Neben der Darstellung von Genreszenen sowie weltlichen und eleganten Allegorien (darunter auch Vanitas-Darstellungen im Landesmuseum Troppau sowie im Palazzo Reale, Turin) schuf Régnier zahlreiche religiöse Werke für die Kirchen Venedigs und Umgebung sowie zahlreiche Porträts offizieller Natur.

Pandora und die Büchse

Pandora war die erste Frau, welche die Götter geschaffen hatten. Sie brachte das Unheil in die Welt, weil sie aus Neugier das ihr anvertraute Gefäß öffnete, welches alles Böse enthielt.

Nicolas Régnier: Vanitas-Pandora, vor 1626, Öl auf Leinwand, 173 x 140 cm, Staatsgalerie Stuttgart

Die im ersten Bild dargestellte Pandora trägt einen eindeutigen Vanitas-Charakter, fungiert hier als Verkörperung von Eitelkeit und Nichtigkeit. (Vanitas, lat. „Eitelkeit“, „leerer Schein“, „Nichtigkeit“). Vanitas-Stillleben waren eine Aufforderung an den Betrachter, sich nicht von vergänglichen Dingen wie Ruhm oder Reichtum abhängig zu machen. Sie laden vielmehr dazu ein, den Blick auf das Jenseitige zu richten, denn niemand kann letztendlich dem Tod entrinnen.

Die hier gezeigten Gegenstände sind typische Symbole irdischer Vergänglichkeit, welche ein Gemälde dieses Sujets charakterisieren. Naturalistisch konzipierte Allegorien in zeitgenössischer Gewandung waren beliebte Bildmotive bei den Caravaggisten, also den Malern, deren Kunst stark vom Stil des berühmten Lombarden geprägt war. Die gezackte Krone ist zu Boden gefallen (rechts unten), aus dem umgestürzten Metallkrug links unten ergießen sich viele Goldmünzen. Den rechten Fuß hat die in ein malerisch-verspieltes Gewand gekleidete junge Frau auf einen Totenschädel gestellt – DAS Memento-Mori-Symbol schlechthin (memento mori, lat., „bedenke, dass du sterblich bist“). Eine Maske/Larve und diverse Juwelen liegen auf einem Steinsockel zur Linken, auf dem sich auch der große Henkelkrug befindet, dessen Deckel Pandora anhebt. In den meisten Pandora-Darstellungen sieht man das Unheil noch aus dem Behältnis entweichen. Nicht so hier: Das Der Krug ist leer, demnach sind die Übel also schon längst in der Welt.

BU: Pandora [hebt den Deckel des Pithos], Datierung unbekannt, Öl auf Leinwand, Museo Ca’Rezzonivo, Venedig.

Anders verhält es sich mit dieser Fassung des Pandora-Themas von Régnier: Wir sehen hier deutlich die unheilvollen Schwaden, mit denen das Übel aus dem Gefäß entweicht, dessen Deckel von einer Frau mit zierlicher Geste angehoben wird. Die Protagonistin ist hier in kostbare Gewänder gekleidet und kunstvoll frisiert. In diesem Bild lässt sich der stilistische Unterschied zur zum erstgenannten Werk ausmachen – die zartere Farbgebung und die zarten Gesichtszüge lassen m.E. auf einen anderen künstlerischen Einfluss schließen – vielleicht den des Bologneser Malers Guido Reni, denn Régnier legte nach seinem Aufenthalt in Rom wohl einen ersten Zwischenstopp in Bologna ein, wo er auch mit den Kunstwerken Renis in Berührung gekommen sein mochte.

Die „Büchse der Pandora“ ist mittlerweile als geflügelter Ausdruck in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Hesiod erwähnt in seiner „Theogonie“ tatsächlich einen píthos, πίθος, einen großen irdenen Vorratskrug. Wahrscheinlich war es Erasmus von Rotterdam, der in seinen „Adagia“, in der er auf Hesiods Erzählung anspielt, besagten píthos in pyxís, πυξίς, umwandelte, was mit Büchse oder Dose gleichzusetzen ist.

Doch die Hoffnung blieb bekanntlich noch im Pandoras Gefäß – daraus ließe sich schlussfolgern, dass das Unheil letztlich überwunden werden kann, wenn der Mensch sich die Vergänglichkeit alles Irdischen bewusst macht.

Näheres zum Mythos der Pandora erfahrt ihr in unserem Audio-Special.

Ein Beitrag von Isabel Bendt

Audio von Dr. Constance Timm


Literaturhinweise:

Ewald, Gerhard, Kopplin, Monika: Vom Manierismus zum Barock. Italienische Gemälde des 16. und des 17. Jahrhunderts aus d. Besitz der Staatsgalerie Stuttgart. Katalog zur Ausstellung, 11. Dezember 1982 – 13. Februar 1983. Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 1982

Hesiod, Theogonie / Werke und Tage. Griechisch-deutsch. Hrsg. und übersetzt von Albert von Schirnding. Mit einer Einführung und einem Register von Ernst Günther Schmidt. De Gruyter, Berlin 2012

Jahn, Johannes, Lieb, Stefanie (Hrsg.):Wörterbuch der Kunst, 13., vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage. Kröner, Stuttgart 2008

Panofsky, Dora Mosse; Panofsky, Erwin:  Die Büchse der Pandora. Bedeutungswandel eines mythischen Symbols. Aus dem Engl. und mit einem Nachw. von Peter D. Krumme. Campus-Verlag, Frankfurt am Main, New York, 1992

Renger, Almut-Barbara, Musäus, Immanuel: (Hrsg.): Mythos Pandora. Texte von Hesiod bis Sloterdijk. Reclam Verlag, Leipzig 2002.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

2 Antworten auf „Das Gefäß und die Eitelkeit: Zum Mythos der Pandora“

  1. Traditionell wird das Wort Pandora mit “die Allbegabte” gedeutet. Der Mythos der Pandora kann sehr unterschiedlich interpretiert werden. Was diese Hoffnung betrifft, so hatte Nietzsche seine höchst eigene Meinung dazu:

    “Zeus wollte nämlich, dass der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Übel gequält, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von Neuem quälen zu lassen. Dazu gibt er dem Menschen die Hoffnung: Sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.” ->

    https://www.mythologie-antike.com/t220-buchse-der-pandora-mythologie

  2. Man könnte einmal schreiben, was aus der Büchse der Pandora im 21. Jahrhundert geflogen ist… danke für den guten Beitrag!

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