Erika Taube: Briefe aus der Mongolei (1966-1987)

Briefe sind immer eine im wahrsten Sinne des Wortes „ansprechende“ Form der Wissensvermittlung gewesen. Sie haben nicht die Prätention, alles zu wissen, sondern beschränken sich auf den subjektiven Ausschnitt der bereisten Welten. Doch bleibt die Frage, für wen sie geschrieben wurden, wessen Neugier befriedigt, wessen Erwartungen unterlaufen, wer überrascht werden sollte. Sind es private Mitteilungen oder solche, die mit einem Auge in die Öffentlichkeit schielen, mithin auf Veröffentlichung?

Die vorliegenden Briefe aus der Mongolei vermengen das Private mit dem Wissenschaftlichen und sind wohl nicht auf Veröffentlichung hin geschrieben worden. Eher im Gegenteil. Denn wir erfahren viel, oft zu viel Privates aus dem Leben der Leipziger Mongolistin Erika Taube (1933-2020). Das gibt jedoch auch einen guten Einblick in das Leben einer Asienwissenschaftlerin, denn man liest über die Probleme des Reisens, der menschlichen Kontakte und Beziehungen, über das Essen und die Kleidung, über das Heimweh nach Markkleeberg/Leipzig während langer Aufenthalte in der Mongolei. Und nicht zuletzt über die Eingriffe in das Private, die von der Staatssicherheit der DDR immer wieder unternommen wurden. Noch in der Mongolei gibt es IMs, die mitschreiben und berichten, und ebenso beim daheim gebliebenen Mann, Manfred Taube, seines Zeichens Mongolist und Tibetologe. Dieser hat die Briefe mit dem Sohn der beiden, Jakob Taube, herausgebracht, der ebenfalls ein Fachmann für Zentralasien wurde und seine eigenen Erinnerungen im Band festhält. Also durch und durch ein Familienunternehmen mit starkem Leipziger Hintergrund.

Erika Taubes erste Briefe an den Mann und die Kinder stammen aus dem Jahr 1966. Diese erste aufregende Reise unternimmt sie mit dem tuwinischen Autor Galsan Tschinag, der zuvor einige Jahre als Student bei den Taubes gelebt hat, als er in Leipzig Germanistik studierte. Es wird ein mongolisches Abenteuer, auch eines der Liebe zwischen beiden, über die Erika offen berichtet, während sie zugleich von eigener Eifersucht geplagt wird. Tschinag, der viele Bücher (Romane, Essays, Gedichte) auf Deutsch geschrieben hat, hat seine eigene Version dieser Beziehung in seiner Autobiographie Kennst du das Land – Leipziger Lehrjahre (2008) festgehalten. Wissenschaft hat eben oft einen emotionalen Hintergrund, wobei dem Laien unklar sein dürfte, wie weit dieser in die ethnologische Forschung hineinreicht. Ein Resultat jedenfalls war Taubes Sammlung Tuvinische Volksmärchen, die 1978 im Akademie-Verlag Berlin erschienen. Im Vorwort dazu schrieb sie 1974, welche Rolle Tschinag dabei spielte: Er fixierte die auf Band aufgenommenen gesprochenen Texte schriftlich und stand immer bereit, Fragen zu beantworten und die Übersetzung zu unterstützen. Ein einzigartiges Unterfangen, denn hier kamen östliches Wissen und westliche Forschung zueinander – weil beide Seiten die Sprachen der anderen Kultur kannten. Technisch waren die Aufnahmen nicht immer leicht zu bewerkstelligen. Mal gingen die Bänder aus und mussten aus weiter Ferne in die Steppe geschafft werden, Strom und Batterien waren nicht überall vorhanden. Oft war es schwer, die richtigen Erzähler aufzutreiben oder aus ihrer Schüchternheit herauszuholen. Es konnte auch sein, dass einer wieder verschwand oder dass Geschichten und Gedichte nicht besonders interessant waren. Aber meistens kam es doch zu aufregenden und oft episch langen Erzählungen und Heldenliedern. Faszinierend die Einblicke, die der Leser in die mongolisch-tuwinische (sie sind nicht identisch!) Welt erhält. So schreibt sie im November 1966, dass sie den Begriff für die Zeit verliert. Nur noch das Postauto sei so etwas wie ein Zeitanzeiger. Eine Frau sitzt vor ihr und sie kann über ihrem Hemd ihre Seele hängen sehen: „Es ist ein etwa fünf Zentimeter breites und sieben Zentimeter langes Lederbeutelchen an einer Schnur.“ Was darin ist, weiß sie nicht, es muss wohl die Seele sein. Die Frau hat es als 17jährige von einem Lama erhalten (S. 48). Man übernachtet im Freien oder in gastfreundlichen Jurten, der Himmel ist viel weiter und von viel mehr Sternen übersät als in Deutschland. Wir werden Zeuge mongolisch-tuwinischer Feste (Reiten, Ringen, Bogenschießen), von Murmeltierjagd oder Schafschur. Klischees, die wir von Schamanen haben mögen, werden unterlaufen, wenn wir etwa auf eine ziemlich betrunkene Schamanentante treffen.

Froh notiert sie Sammelfortschritte:

Vorhin hab‘ ich meine Rätselliste fertig gemacht – alles schön ordentlich abgeschrieben (es sind inzwischen 103 geworden) und nun mach‘ ich die gleiche Liste von den Sprichwörtern; es werden von beiden mit den im vorigen Jahr gesammelten wohl etwa je 300 Stück werden. Das ist, glaub‘ ich, für die 2400 Tuwiner hier ganz schön. An Sprichwörtern sind es, glaub’ ich, schon einige hundert.  Segensprüche sind es inzwischen dreißig geworden, zwei neue Märchen hab‘ ich auch, ein Lügenmärchen und eine Menschenfressergeschichte. (S. 98)

Immer wieder stößt sie übrigens auf Menschen, die Kleider tragen, die sie vor mehr als einem Jahrzehnt aus Leipzig geschickt hatte.

Bereichert wird der Band durch einen Bericht des Sohnes von Erika Taube, dem Mitherausgeber Jakob Taube, ebenfalls Ethnologe und Orientalist (Turksprachen) und nicht zu verwechseln mit dem Religionssoziologen und Judaisten Jacob Taubes. Hier beschreibt der 21jährige eine weitere Reise mit der Mutter und Galsan Tschinag in die Mongolei aus dem Jahr 1982.  Er geht recht unbefangen auf die Esssitten der Mongolen ein (Schlürfen, man wünscht nicht „Guten Appetit“, beim Niesen kein „Gesundheit“, die Alten und Kinder bekommen das Mark in den abgenagten Knochen). Bei allem Verständnis für die Verschiedenheit der Kulturen lobt er doch die deutsche Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, die man in der Mongolei eher vermisse. Tragisch das Foto mit einem mongolischen Bekannten, der zwei Tage später umgebracht wurde (S. 180).

Insgesamt bietet dieser Band viele Zugänge zur heutigen Mongolei, vor und nach der Wende von 1990. Zugleich erfahren wir einiges über die Forschungsinteressen und -bedingungen zu DDR-Zeiten. Und nicht zuletzt ist es ein Buch über eine Familie von Ethnologen, die magisch vom Fernen Osten und Zentralasien angezogen scheint.

Ein Beitrag von Prof. Elmar Schenkel


Literaturhinweis:

Erika Taube: Briefe aus der Mongolei (1966-1987), hrsg. von Manfred und Jakob Taube. Leipzig: Universitätsverlag 2020, 256 S., geb., € 32.00 

Weitere Literatur:

Galsan Tschinag: Kennst du das Land. Leipziger Lehrjahre. Zürich: Unionsverlag 2018.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .