Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien. Wie Geschichten unser Leben bestimmen

Mythologen horcht auf, hier wird unsere Profession angesprochen! Was machen wir mit Mythen, was aber machen vor allem sie mit uns? Das ist die Frage, die sich hier das Autorenteam auf vielen Seiten stellt. Ausgangspunkt ist die Heldenreise, wie sie Joseph Campbell weltweit gefunden hat. Nach ihr ist auch das Buch komponiert. Die Kapitel rekapitulieren die Stationen des Helden oder der Heldin – man denke etwa an Frodo in Herr der Ringe oder an Märchenabenteuer: die gewohnte Welt, der Ruf des Abenteuers, die Weigerung, der Mentor, die erste Schwelle, die Proben und Feinde, das Vordringen, die entscheidende Prüfung, der befreiende Schlag, die Rückkehr und Auferstehung, das gewonnene Elixier. Klar, in diesem Buch wird auch nachgewiesen, dass diese Heldenreise maßgeblich auf den Mann geschneidert ist, trotz vieler Wonder Women und anderer Heldinnen. Dagegen bieten die Autorin und der Autor (El Ouassil ist Podcasterin, Kolumnistin und Germanistin, Karig ist Journalist und Schriftsteller) Modelle weiblichen Heldentums an: es sei weniger individualistisch und mehr auf soziales Handeln angelegt.

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Zwischenraum, hindurchzuschaun: Mit einem Gruß an die Zaungeister

Stille. Pause. Gestern gingen wir durch ein Labyrinth, es war überwachsen vom Maigras. Über uns thronte ein Schloss und weiterhin der Himmel. In der Mitte eine Blechskulptur an einem toten Geäst: der Minotaurus. Man bewegte sich hintereinander gehend durch das hohe Gras. So entstand im Gehen das Labyrinth. Aber die Art des Schreitens! Einen Fuß vor, dann mit dem hinteren nochmal auf die Ferse zurück. Pause. Kurz, aber stark, denn sie richtet den Blick nach oben, ins Blaue oder Bewölkte, der Atem geht anders. Das Ziel muss immer zum Verschwinden gebracht, Zukunft durch Gegenwart unterbrochen werden. Eine kurze Wippe rückwärts und schon öffnet sich eine kleine Tür. Der Atem, das Aufblicken erschaffen einen Raum, für den ich noch kein Wort habe, nur das zeitliche: die Pause.

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Roger Callois: Der Mythos und der Mensch

Roger Caillois (1913-1978) ist hierzulande nur wenigen bekannt. In Frankreich sind seine Werke recht verbreitet und es erscheinen immer wieder Bücher oder Texte aus dem Nachlass. Auf Deutsch sind unter anderem seine poetisch-mythologischen Studien zu Steinen erschienen, zum Kraken, zur Dissymmetrie, das einflussreiche Die Spiele und die Menschen, eine Autobiographie und ein Buch über Patagonien. Caillois stand den Surrealisten nah und war Mitbegründer des Collège de Sociologie in Paris, das Untersuchungen zum Heiligen und zur Irrationalität überhaupt vorantrieb. Er wählte 1939 jedoch das Exil in Argentinien, von wo aus er den französischen Widerstand gegen die deutsche Okkupation publizistisch unterstützte. Hier lernte er auch Jorge Luis Borges kennen, den er nach dem Krieg in Frankreich und Europa bekannt machte.

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Die Sterne

„Es gibt im Menschenleben Augenblicke

 Wo wir vergessen daß wir einen Punct

Im unermessnen Weltall nur bewohnen!“


schreibt der fünfzehnjährige Nietzsche an seine Mutter, als diese zu Verwandten in den Südharz reist. Danach stellt er eine Liste auf mit den Dingen, die Franziska doch bitte schicken möge: Teelöffel, Oblaten, Kakao, Wäsche, Schlittschuhe. So schnell geht die Reise zwischen den Sternen und dem Alltag hin und zurück. Nietzsche hat sie immer wieder durchmessen. Der Aufstieg und der Absturz, die Melancholie und die Euphorie lagen nah beieinander. Er glaubte nicht an Astrologie und verachtete den Okkultismus. Aber die Sterne richteten ihn auf, spielerisch nahm er ihren Einfluss an. Vor allem aber standen sie für die Sinnenferne, der Blick in das Schwarze des Alls verkleinerte den Menschen ins Unendliche. 1873, da war er keine dreißig Jahre alt, schrieb er einen Essay, der wegweisend für die Nietzsche-Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg werden sollte: „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn“. Er beginnt wie ein Science-Fiction-Roman (zum Beispiel Douglas Adams‘ Per Anhalter durch die Galaxis):

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Rumänische Phantastik oder Wie ich Mircea Eliade wieder entdeckte

Vor einiger Zeit lief uns ein löwenfarbiger Kater zu. Morgens steht er aufgereckt an der Terrassentür und verlangt nach Milch, lungert manchmal auf einem Stuhl herum, aber ansonsten durchstreift er die Wildnis bürgerlicher Wohnstätten. Inzwischen hört er auf den Namen Mircea – so haben wir ihn getauft –, da seine früheren Besitzer Rumänen waren. Ich dachte mir, es ist ein guter Name für eine Katze, die zwischen den Häusern lebt, insbesondere weil Mircea der erste Name ist, den ich mit Rumänien verband. In meiner Jugend las ich viele Bücher von Mircea Eliade, der 1907 in Bukarest geboren wurde und 1986 in Chicago starb. Ich las sie, da ich Romanistik studierte, auf Französisch, und sie gaben mir eine gute Grundlage für die Sprache, zumal sie nicht idiomatisch erschwert waren. Eliade hatte sie auf Französisch geschrieben, wie er überhaupt ein Sprachengenie war (Sanskrit, Bengali, Griechisch und noch einige andere). Er lebte nach dem Krieg 15 Jahre in Paris, wo er seinen internationalen Ruf als Religions- und Mythenforscher etablierte, unterstützt von Georges Dumézil und anderen. Dort war er auch Teil der rumänischen Exilgemeinde, zu der etwa Emil Cioran oder Eugène Ionesco gehörten.

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Die Bücher und die Träume

Ich gebe zu, ich träume viel von Büchern. Sie sind Bestandteil meiner Tag- und Nachtträume. Tagsüber lenken sie mich zu Handlungen, die man auch Buchhandlungen nennt. Seltener zu Bibliotheken, denn mit meinem Traum von Büchern ist unweigerlich ein, wenn auch flüchtiger, Besitz verbunden. Bücher in Bibliotheken sind wie E-Books. Man darf sie nur ansehen oder aus einer Wolke herunterrufen, um sie später wieder hinaufzuschicken. Oft wird man dabei von anderen beobachtet. In Bibliotheken muss man die Ruhe bewahren, man darf nicht herumspringen, essen oder trinken. Das ist nicht die Welt des Buches, die ich in den Träumen vorfinde. Dort wird es von der Sonne vergilbt, Rauch bläst aus seinen Seiten, Regen fällt auf die Bindung, es wird vom Wind wie eine Möwe getragen, die Buchstaben verwehen wie Asche und formieren sich neu.

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Der Detektiv und der Philosoph

Kaum jemand ahnt, dass die Sherlock Holmes Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle voller Anspielungen sind – zu sehr ist man durch die Spannung und die Figur des Detektivs und seines Adlatus Dr. Watson abgelenkt. Doch auch Nietzsche hat in diesen Geschichten seine Visitenkarte hinterlassen. Seit 1886 wandte der erfolglose Augenarzt Doyle seine neue Rezeptur an, die er während leerer Praxisstunden zu Papier brachte. Er erfand, mit Hilfe von Vorbildern wie Poes Dupin, den distanzierten, desillusionierten und zugleich so genauen Beobachter als Detektiv, den Pfeifenraucher und Rationalisten mit Rauschgiftneigung und einer Vorliebe für Richard Wagner, den Inbegriff des englischen Gentleman, kurz: er erfand Sherlock Holmes.

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Der Wandelbare. Rezension zu einer neuen Biographie von Rudolf Steiner

Er mag heute umstritten sein aus vielerlei Gründen – aber sein Werk und seine Person faszinieren weiterhin. Rudolf Steiner war einer der reichhaltigsten Geister des Jahrhunderts – Visionär, Wissenschaftler, Pseudo-Wissenschaftler, Philosoph, Philologe und Guru, gewollt wie ungewollt. Ratgeber in Lebensfragen wie in Landwirtschaft oder Medizin, teils mit zweifelhaften, teils mit beachtlichen Erfolgen.

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Go East 2.0 -Tibetische Horizonte: Shangri-La und Shambhala

Shangri-La ruft

An Bord eines Schiffes ein rätselhafter Mensch, der sein Gedächtnis verloren hat. Ein Neurologe interessiert sich für sein Schicksal: woher kommt er, was ist mit ihm geschehen, kann man seine Erinnerungen zurückholen? Eines Tages spielt der Mann ohne Gedächtnis, Conway heißt er, Chopin am Klavier und nun kehren allmählich die Erinnerungen zurück; er beginnt zu erzählen. Eine lange Geschichte tut sich auf: Ein Flugzeug wird in Nordindien/Afghanistan entführt, an Bord vier Amerikaner und Briten, darunter eine Missionarin. Der Entführer ist allem Anschein nach ein Tibeter. Es kommt zu einem Crash auf einer unbekannten Hochebene des Himalayas. Die vier überleben und machen sich auf den Weg, zu einer Siedlung zu finden. Nach vielen Strapazen kommen ihnen Menschen entgegen und nehmen sie mit in eine abgelegene Klosterwelt. Der Jüngste möchte so schnell wie möglich wieder in die Zivilisation zurück. Die Missionarin sieht hier eine Chance für den Glauben und Konversionen und vertieft sich zu besserem Verständnis in die Kultur und Sprache des Landes. Conway lernt den Lama kennen, die Mönche, die Bibliothek, die die wichtigsten Werke der europäischen Philosophie und Literatur, Werke Asiens und des Westens in vielen Sprachen sowie unveröffentlichte Kompositionen von Chopin enthält, und dies mitten in der einsamen Bergwelt Tibets.

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Go East 1.0 – Der Mönch und der Khan: Wilhelm von Rubruk reist im 13. Jahrhundert in die Mongolei

Die Religion treibt die Menschen in die Ferne. Sie wollen einen Glauben weitertragen bis an die Ränder der Erde und stoßen dabei auf anderen Glauben, andere Verehrungen, andere Götter. Die Reisen in die Ferne haben natürlich auch oft einen politischen Hintergrund. Im 13. Jahrhundert will das christliche Europa Kontakt aufnehmen zu den nur vage bekannten Mongolen. Könnten sie dem Abendland nicht beistehen im Kampf gegen den Islam? Aber was heißt „vage bekannt“? Die Mongolen dehnten fortgesetzt ihr Imperium aus, ihre Heere waren bis nach Europa vorgedrungen. Im April 1241 wurde das deutsch-polnische Heer bei Liegnitz /Schlesien geradezu zermalmt. Den Kopf des getöteten Herzogs Heinrich steckten die Mongolen auf eine Lanzenspitze und hielten ihn den Christen als Schreckensbild hin. Zur selben Zeit erlitt ein weiteres christliches Heer in Ungarn eine krachende Niederlage. Und es sah so aus, als wäre dies nur der Anfang einer beispiellosen Zerstörung: der Untergang des Abendlandes insgesamt stand bevor! Doch plötzlich wendeten sich die Asiaten nach Süden Richtung Ungarn und dann zurück nach Südrussland. Niemand wusste, warum.

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Zauberwort und Wortzauber – Magie in Sprache und Literatur

Nichts scheint so fern wie die Magie, nichts so nah. Auf der einen Seite das Mittelalter, Ägypten, die Orakel und Zaubersprüche in fremdem Kauderwelsch, das ganze Abakadabra der geistigen Vernebelung. Der Glaube, Dinge durch den Geist bewegen zu können … Halt, da ist schon die andere Seite, die Nähe allen magischen Denkens. Wer glaubt, durch richtiges Denken die Wirklichkeit verändern zu können, denkt schon magisch. Von den Blicken in die Horoskope will ich gar nicht reden, aber doch von kleinen Alltagshandlungen, die magischen Charakter haben. Zum Beispiel sich einen Guten Morgen zu wünschen. Durch das Aussprechen dieses Wunsches soll der Morgen ja ein guter werden. Und die vielen anderen Wünsche, Hals- und Beinbruch, ich drück dir den Daumen. Sie müssen alle ausgesprochen werden. Die Sprache selbst also bürgt für die Anwesenheit der Magie. Denn sie rückt das, was fern ist, zum Beispiel die Vergangenheit oder ein anderes Land, in unser Bewusstsein. Das nennt man auch Telekinese. Die Sprache vollbringt es, wie die Musik, durch Schwingungen, freundliche, aufbauende, erfrischende wie auch runterziehende, deprimierende, sinnlose. Höhere Magie und niedere. Wie Magie baut Sprache auf Ritualen auf. Es gibt Wortfolgen, Konjunktionen, die verbinden, es gibt Objekte und Subjekte, Syntax und Regeln generell. Interessant ist, dass das Wort für Grammatik, lat. grammatica sich in Französisch in grammaire und grimoire spaltet, also Grammatik und Zauberbuch. Auch im Mittelenglischen hat grammarye eine Zauberkomponente, die sich im Glamour wiederfindet.

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Peter Hunt: Die Erfindung von Alice. Wie alles begann.

„Ein ewig Räthsel bleiben will Ich Mir…“ sprach König Ludwig II. von Bayern und baute sich Lust- und Luftschlösser, die uns heute noch beglücken können. Zur gleichen Zeit – vor mehr als 150 Jahren – entstand ein Rätselbuch, das in die meisten Sprachen der Welt übersetzt wurde und Filmemacher, Komponisten oder Künstler immer wieder beflügelt hat. Es geht um Alice in Wonderland, um die siebenjährige Alice Liddell, die Tochter eines Universitätsdekans in Oxford. Es gab sie und zugleich wurde sie erfunden, ein prekärer Vorgang, den wir dem Mathematikdozenten und Theologen Lewis Carroll verdanken, dessen eigentlicher Name Charles Lutwidge Dodgson war.

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China und Japan auf der Schaukel. Kai Vogelsang über die konfliktreiche wie produktive Geschichte einer Beziehung

China und Japan – die Geschichte einer langen Hass-Liebe-Beziehung. Der Hamburger Sinologe Kai Vogelsang hat sich dieser Beziehung gründlich angenommen, in einer Studie von mehr als 500 Seiten. Spielt diese Beziehung für uns in Europa eine Rolle? Ich denke ja. Zum einen ist sie sinnbildlich für alle Beziehungen zu sehen, in denen Machverhältnisse in einem ständigen Wechsel sind – man denke an China/Russland/USA, an Europa und Großbritannien. Auch eine Parallele zu Griechenland und Rom drängt sich auf. Zudem gibt sie uns Auskunft über die Rolle von Kultur und Gewalt in der Geschichte, über die Aneignung und Assimilation von Kulturgütern einer Kultur durch eine andere – und oft auch die Rückaneignung solcher Güter, nachdem sie durch fremde Hände verwandelt worden sind, mal zu ihrem Vorteil, mal zu ihrem Schaden. Das dürfte für die heutige Diskussion um die Rückgabe von kolonialem Raubgut und kultureller Aneignung nicht unwichtig sein. Und drittens handelt es sich um stärkste Industrieländer, deren Beziehung auf unsere globale Ökonomie einen enormen Einfluss hat.

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Planet Dante. Ein Reisebericht

Je größer ein Gegenstand ist, desto subjektiver die Zugänge zu ihm. Der Gegenstand hört bei einer bestimmten Größe geradezu auf, Gegenstand, das heißt überschaubar, beschreibbar, berechenbar zu sein. Er wächst über das Vermögen des einzeln Wahrnehmenden hinaus, wie der Berg Mont Sainte Victoire bei Cézanne, der ihn immer wieder neu malen musste. Solche großen „Gegenstände“ sind Meere und Gebirge. Auch die mikrobiologischen Vorgänge gehören dazu, die sich in ihre andere Unendlichkeit verlieren: Das Kleine ist nur der Zipfel eines großen Unsichtbaren. Groß ist die Erde selbst, sodass wir nur durch den Blick aus dem Weltall sehen, wie rund sie ist. Ähnlich die Werke Shakespeares, die Bibel, Leonardo da Vinci. Wie Planeten schwingen sie um unser Bewusstsein und mehr noch um unser Unbewusstes. Auch Dantes Werk ist ein solcher Planet, möglicherweise noch der am wenigsten bekannte. In unseren Breiten ein fast unsichtbarer, der nur von Zeit zu Zeit, je nach Maßgabe des sich feiernden Dezimalsystems, das uns Jubiläen beschert, auftaucht. Einige Astronomen richten kurzzeitig ihre Fernrohre auf den Himmelskörper, echauffieren sich und diskutieren, während er schon längst wieder am Horizont verschwunden ist.

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Kosmologie und Literatur III: Kosmologie in Zeiten der Postmoderne. Von Douglas Adams zu Stanislaw Lem

Eines Nachts im Jahre 1971 lag ein junger Brite betrunken in einem Feld bei Innsbruck und schaute in die Sterne.  Bei sich trug der als Anhalter Reisende The Hitchhiker’s Guide to Europe. In diesem Moment kam ihm ein Gedanke, der die Welt verändern sollte: Er sagte sich, dass es eigentlich auch einen Hitchhiker’s Guide to the Universe geben müsste. Die Folge dieser beschwipsten Vision ist, dass es Jahrzehnte später eine wachsende Zahl von Menschen gibt, die sich an einem bestimmten Tag des Jahres mit einem Handtuch in der Öffentlichkeit zeigen. Der besagte Tag ist der 25. Mai, der sogenannte „Towel Day“, an dem man auch Schilder mit der Aufschrift „Don’t Panic“ sieht. Auch T-Shirts mit der Aufschrift „21 is only half the truth“  können gesichtet werden. Die Zahl deutet auf eine andere Zahl, die Suchmaschinen auswerfen, wenn man die Phrase „the answer to life, the universe and everything“ eingibt. Es ist die mysteriöse 42, die durch Douglas Adams eine unerhörte Karriere angetreten hat. Wer von all dem nichts weiß, wird an geistige Zerrüttung denken, doch Kenner genießen diese Hinweise auf Gruppengeist und Schwarmintelligenz. Eingeweihte dürften folgende Eigenschaften mitbringen: Humor, den Sinn für Parodie und Paradox und Freude am Spiel. Wahrscheinlich ist er oder sie auch mit einer freundlichen Natur gesegnet, so wie der leider früh verstorbene Douglas Adams.

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Kosmologie und Literatur I: Von Dante zur Science Fiction

Die Ornamente auf der Tapete nimmt man oft erst zur Kenntnis, wenn man krank im Bett liegt. Meist sind wir im Bild, bewegen uns mit den Protagonisten, identifizieren uns, leiden und freuen uns mit ihnen. Sobald wir jedoch in eine Krise geraten, greift diese auf das Bild über. Wir verlassen den Inhalt des Bildes mit seinen bunten Ablenkungen und beginnen uns auf den Rahmen zu konzentrieren. Was stimmt da nicht mehr? Wie verhält sich das Bild als Ganzes zum Rest der Wand oder der Welt? Dann fragen wir uns, wie Gauguin 1897 in seinem berühmten Gemälde: „Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?“ Wir geben uns nicht mehr zufrieden mit dem Leben auf der Insel, wir wollen wissen, wie diese Insel eingebettet liegt in größere Archipele, Kontinente, Galaxien – mit anderen Worten, in größeren Fragen. Neben die Frage nach dem Sinn unseres kleinen Lebens tritt die Frage nach dem Sinn allen Lebens. Sich mit Science Fiction zu beschäftigen, ist nicht die schlechteste Art, dieser Frage nachzugehen; in jedem Fall hat uns diese Form der Literatur einen Kosmos eröffnet, in dem unsere Stellung höchst befragenswert geworden ist. Sind wir allein? Wenn es einen Erlöser gab, hat er für die gesamte Galaxie gewirkt? Wo stehen wir mit unserer Evolution, über die ein amerikanischer Physiologe so treffend gesagt hat: „Der Planet Erde hat 4,5 Milliarden Jahre gebraucht, um zu entdecken, dass er 4,5 Milliarden Jahre alt ist.“ (George Wald)

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Das Holi-Fest: Farben, die um die Welt gehen

Der Name scheint Programm: Wer denkt nicht an holiday oder holy? Vielleicht auch an holly (Holunder) und Frau Holle. Seit einigen Jahren wird das indische Fest heftig gefeiert, auch außerhalb Indiens. Von Mai bis August zieht die Farbshow von Stuttgart bis Hamburg, von Mannheim bis Berlin. Die Eventkultur globalisiert auch lokale Feste und macht sie zu Ereignissen außerhalb der Ursprungskulturen. Dabei werden Kontexte ausgehebelt und Symbole neu besetzt und umkodiert.

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Der Mythos in den Zeiten von Corona – An die Leser unseres Blogs

Jeder Anruf enthält Geschichten heute. Jeder weiß etwas anderes, kennt Fälle, berichtet von Nachbarn, Freunden, von sich selbst, aus der Zeitung, aus dem Internet, kennt jenes Gerücht, diese Zahl. Noch nie ist unserer Generation so deutlich geworden, wie wichtig das Erzählen für uns Menschen ist. So ist es in anderen Seuchenzeiten gewesen, so war es in den Kriegen, in den Umwälzungen von der Französischen bis zur Friedlichen Revolution. Wir stellen fest, dass wir auf solche Erzählungen angewiesen sind: sie helfen uns zur Orientierung, sie trösten oder regen auf, sie lenken ab und unterhalten.

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Possen, Spiel und Hochstapelei, oder: Der Weg des Tricksters

Der Trickster liebt das Spiel, bei dem man manches Mal den Kopf verlieren kann, und das hindert ihn an einer nachhaltigen Arbeit. Es fehlen Fleiß, Verantwortung, Zukunftsdenken. Wenn es ihm langweilig wird, schmeißt er das Spiel hin. Darin ist er sehr kindlich. Faule wie Trickster schreiben keine Romane. Aber wenn sie es tun, werden es Anti-Romane, die sich selbst immer wieder aufheben oder sich über sich selbst und das eigene Unterfangen, seriös sein zu wollen, lustig machen. Ich denke an Lawrence Sternes Tristram Shandy, an Denis Diderots Jacques der Fatalist oder an Musils Der Mann ohne Eigenschaften. Viele Postmoderne lieben den Trickster als ein solches Prinzip, etwa John Barth, Donald Barthelme, Julio Cortázar, Jorge Luis Borges, Salman Rushdie und viele andere. Vielleicht kann man literarische Epochen sogar nach ihrer Nähe zur Tricksterhaftigkeit einordnen. Natürlich ist der Trickster, eben weil er auch für Autoren stehen mag, eine beliebte Figur in der Literatur. Er tritt dort unter anderem als Hochstapler, Schelm, Betrüger oder Dieb auf.

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